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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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erschien uns ein vernünftiger Kompromiß; es gab immerhin Hügel dort, und das Meer war in erreichbarer Nähe.
    Lucy war damals elf, Jonas lernte gerade laufen. Mit schmerzendem Kreuz rannte ich ständig hinter dem kleinen Kerl her, der zwar noch wackelig auf den Beinen, dafür aber um so schneller war. Einmal sauste er geradewegs in das Schwimmbecken, das sich auf unserem Grundstück befand. Er ging unter wie ein Stein. Friedrich und ich sprangen gleichzeitig hinterher und behinderten uns gegenseitig bei dem Versuch, ihn zu fassen.
    Schließlich schaffte es Friedrich und zog ihn raus.
    Ich sah das bewegungslose Kind und war überzeugt, es wäre tot. Friedrich packte Jonas an den Füßen und ließ ihn kopfüber hängen; plötzlich ging ein Zucken durch seinen Körper, und er erbrach einen Schwall Wasser.
    Dann fing er an zu brüllen.
    Trotz der dreißig Grad bekam ich Schüttelfrost und gleich darauf Fieber. Zwei Tage lag ich schlotternd und zähneklappernd in der Wohnung, der Schock hielt mich umklammert wie eine eiserne Faust.
    Als ich mich erholt hatte, machten wir Ausflüge in die Umgebung. Ich wollte überall sein, nur nicht in der Nähe des Schwimmbeckens, das mir vorkam wie ein unheilvoller Schlund, der nach meinem Kind gierte.
    Auf einem der vielen toskanischen Märkte entdeckte ich die Obstschale aus handgebranntem Ton, blau-grün glasiert und eigentlich ein bißchen zu groß. Trotzdem gefiel sie mir. Friedrich, der viel nüchterner war als ich, rümpfte die Nase. Ich war nervlich so angeschlagen, daß ich in Tränen ausbrach. Friedrich waren Gefühlsausbrüche peinlich, vor allem, wenn andere Menschen in der Nähe waren. Anstatt mich zu trösten, beschimpfte er mich, was mich dazu brachte, noch heftiger zu weinen.
    Er warf mir Hysterie vor, ich ihm Gefühlskälte. Es endete in einem der schlimmsten Krache unserer Ehe.
    Als wir eine Woche später nach Hause kamen, holte er aus einem der Koffer ein Paket und überreichte es mir mit verlegenem Lächeln. Es war die Obstschale.

    »Wie ist denn das passiert?«
    Ich fuhr herum, hinter mir stand Friedrich und blickte traurig auf den Haufen blau-grüner Scherben.
    »Ich … äh … sie ist mir beim Spülen aus der Hand gerutscht«, log ich.
    »Ich hatte mich wirklich an sie gewöhnt«, sagte Friedrich bedauernd.
    »Scherben bringen Glück«, sagte ich wenig überzeugt.
    Entnervt gab ich die Kleberei auf. Es hatte keinen Sinn, ich kriegte es einfach nicht hin. Ich packte die blau-grünen Überreste der Schale und warf sie in den Müll.

Sechs
     
    Mit Lucy war eine seltsame Verwandlung vor sich gegangen. Sie gab plötzlich Antworten, die aus mehr als einem patzigen Halbsatz bestanden. Ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck, den man mit etwas gutem Willen als
    »heiter« bezeichnen konnte.
    Und sie brauchte morgens keine Dreiviertelstunde mehr im Bad, sondern eine ganze.
    Der Grund für diese Veränderungen war männlich, neunzehn Jahre alt, hatte einen halblangen Leonardo-di-Caprio-Haarschnitt, teure Sakkos, ein Handy und ein Golf-Cabrio.
    Mir kam fast das Kotzen, als ich den Knaben das erste Mal sah. Ein Yuppie im Westentaschenformat, ein geschniegelter Jüngling mit blasierter Miene, das glatte Gegenteil von dem, wie ich mir meinen zukünftigen Schwiegersohn vorstellte.
    »Darf ich heute bis eins wegbleiben?« lautete die scheinbar unverfängliche Frage, mit der Lucy das Gespräch einleitete.
    »Es kommt darauf an, wohin du gehst und mit wem«, beteten Friedrich und ich im Chor unsere Standardantwort herunter.
    »Ich gehe mit Marco auf die Fete von Natalie.«
    »Ist o. k.«, wollte Friedrich das Gespräch beenden.
    Ich merkte, daß Lucy enttäuscht über die schnelle Zustimmung war.
    »Wer ist Marco?« fragte ich beiläufig.
    Genau auf diese Frage hatte sie gewartet.

    »Marco ist mein Freund«, sagte sie, und ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß sie lästige Fragen dieser Art zukünftig nicht mehr zu beantworten gedachte.
    »Lernen wir den jungen Mann mal kennen?« erkundigte sich Friedrich jetzt neugierig.
    »Müßt ihr mich immer kontrollieren? Hat man als Jugendlicher keine Privatsphäre?« regte sie sich künstlich auf.
    Ich sah ihr an, wie sie darauf brannte, uns Marco zu präsentieren.
    »Wenn er mit dir ausgehen will, mußt du ihn uns schon mal vorstellen«, verlangte ich.
    Scheinbar genervt warf sie uns hin: »Heute abend könnt ihr ihn ja begutachten, er holt mich ab.«
    Daß Lucy dem Badezimmerspiegel während der folgenden Stunden noch mal kurz den

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