Am Anfang war der Seitensprung
oben beobachtet. Lucy flüsterte ihm etwas zu und zeigte in meine Richtung. Sobald er mich sah, veränderte sich sein Verhalten. Die Macho-Allüren fielen von ihm ab, er stellte sich gerade hin und streckte mir höflich die Hand entgegen.
»Guten Abend, Frau Schrader, mein Name ist Marco Tremper, vielen Dank, daß ich mit ihrer Tochter ausgehen darf«, spulte er routiniert herunter. Das Sprüchlein sagte er nicht zum ersten Mal auf, soviel war klar, »’n abend, Marco«, begrüßte ich ihn, »nett, dich kennenzulernen.«
Ist er nicht süß, sagte Lucys Blick, der unsicher und doch voller Besitzerstolz von ihm zu mir ging.
»Ihr fahrt mit dem Auto?« wollte ich wissen.
»Keine Sorge, Mama, Marco fährt super Auto«, sagte Lucy schnell.
»Außerdem trinke ich nicht, wenn ich fahre«, ergänzte der Musterknabe.
Das wollte ich hoffen. Aber ich hatte ohnehin weniger Sorge wegen des Autos als wegen seines überkorrekten Auftretens. Das war einfach nicht normal für einen Neunzehnjährigen, und es machte mich äußerst mißtrauisch.
»Also, Mama, tschüß«, beendete Lucy die Inspektion.
Marco reichte mir noch mal die Hand und verabschiedete sich formvollendet. Ich sah den beiden nach, wie sie ins Auto stiegen. Bisher war Lucy mit dem Fahrrad abgeholt worden oder mit der Vespa. Die Zeiten änderten sich.
»Findest du wirklich, daß Lucy schon reif genug ist, um mit Männern herumzuziehen?«
Ich drehte mich zu Queen Mum um.
»Das sind keine Männer, sondern Jungs, ein bißchen älter als sie.«
»Ich finde, Lucy wirkt sehr frühreif. Du solltest ihr vielleicht die Möglichkeit geben, mehr Kind zu sein.«
Ich fühlte, wie sich meine Stacheln aufstellten.
»Ich halte sie bestimmt nicht davon ab, sich als Kind zu fühlen.«
»Lucy macht keinen glücklichen Eindruck. Sie ruht nicht in sich.«
»Mummy, sie ist in der Pubertät! Da ruht man nicht in sich.«
»Sie könnte Yoga machen oder autogenes Training. Das würde ihr bestimmt guttun.«
»Das kannst du ihr ja vorschlagen. Ich freue mich schon auf ihre Antwort«, sagte ich und wollte gehen.
Aber Queen Mum war offensichtlich entschlossen, eine Grundsatzdebatte herbeizuführen.
»Um Jonas mache ich mir auch so meine Gedanken.«
»Ach ja?«
Mein Adrenalinspiegel stieg bedrohlich an. Wenn ich mich jetzt nicht beherrschte, gäbe es Krach.
»Muß das Kind immer Rockmusik hören? Das entspricht doch seinem Alter gar nicht.«
»Weißt du, wie viele Pumuckl, Bibi Blocksberg, Märchen- und Kinderkassetten Jonas hat? Er mag sie nicht.
Sie sind ihm zu blöd. Wenn er Rockmusik hören will, dann soll er. Da mische ich mich nicht ein.«
»Solltest du aber.«
Ich sah sie herausfordernd an. »Ach, weißt du, Mummy, es reicht ja, wenn du dich ständig einmischst«, sagte ich mit schneidender Stimme, stampfte die Treppe hoch und knallte die Schlafzimmertür hinter mir zu.
Ich war müde an diesem Abend und ging früh ins Bett.
Sonst hatte ich nie Probleme mit dem Einschlafen gehabt. Heute tat ich kein Auge zu. Friedrich atmete schon ruhig neben mir, als ich immer noch angespannt im Dunkeln hockte und mich über Queen Mum aufregte.
Außerdem dachte ich voller Sorge an Lucy. Marco sah zwar nicht aus wie ein Vergewaltiger, Dealer oder Junkie.
Eher wie ein Computerhacker, der die Kreditkarten anderer Leute kopiert und heimlich, still und leise ihre Konten plündert. Warum ich ihm diese kriminelle Energie zutraute, verstand ich selbst nicht. Er war mir einfach unsympathisch.
Endlich, kurz nach eins, ging die Haustür. Vielleicht ist er doch nicht so übel, dachte ich verschwommen, bevor ich endlich einschlief.
»Warum soll immer ich hingehen?«
Wütend funkelte ich Friedrich an, der sich zum Ichweiß-nicht-wievielten-Mal vor dem Elternabend im Kindergarten drücken wollte.
»Ich hab einen wichtigen Termin«, behauptete er.
»Ich hab auch einen wichtigen Termin«, trotzte ich.
Warum war immer ich zuständig für
Geburtstagsgeschenke, frische Socken, Pausenbrote und Elternabende? Diese Kinder waren genauso seine wie meine.
Trotzdem war es natürlich ich, die den Abend mit einer Horde aufgebrachter Mütter und ein paar Vorzeige-Vätern verbrachte, die, ihre Knie knapp unterm Kinn, auf den viel zu kleinen Kindergartenstühlchen saßen und stritten. Es ging um die Zusammenlegung zweier Gruppen.
»Es muß gespart werden«, erklärten die einen, »sonst besteht die Gefahr, daß der Kindergarten ganz geschlossen wird.«
»Das ist pädagogisch nicht vertretbar«,
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