Am Anfang war der Seitensprung
und mir hart verdient werden muß.«
» Aber alle haben eine bestickte Lammlederjacke, nur ich nicht « , jammere ich.
» Willst du etwa so aussehen wie alle? « fragt Mummy und schaut mich streng an.
Natürlich nicht. Eine bestickte Lammlederjacke ist der Gipfel der Individualität; » alle « sind die Leute, auf die es ankommt, deren Meinung zählt, wenn man fünfzehn ist und verzweifelt auf der Suche nach Anerkennung.
» Ich brauche doch sowieso einen Wintermantel « , versuche ich es mit einem praktischen Argument.
» Du kriegst einen Wintermantel. Einen aus Wolle, in einer vernünftigen Qualität, mit Kapuze. «
Mummy ist unerbittlich. Ich ahne, daß ich keine Chance habe und mir ein weiterer Winter als Außenseiter bevorsteht.
» Warum darf ich mir nicht aussuchen, was ich anziehe?
Ich muß schließlich damit rumlaufen. «
Ich stampfe mit dem Fuß auf und fange an zu heulen.
Ich fühle mich so machtlos, so ausgeliefert. Ich möchte endlich erwachsen sein und selbst entscheiden.
Schon als ich längst verloren habe, läßt Mummy es sich nicht nehmen, ihren Triumph noch zu krönen. » Daß für so eine Jacke kleine Lämmer bestialisch ermordet werden, ist Grund genug, keine zu tragen! «
Traurig und wütend spreche ich den ganzen Tag kein Wort mehr mit meinen Eltern. Am nächsten Abend sind wir alle zusammen von einem Geschäftspartner meines Vaters in ein feines Restaurant eingeladen. Als der Kellner zu mir kommt, bestelle ich laut und deutlich:
» Lammkoteletts! «
»Was kostet so eine Stretchhose?«
»Hundertzwanzig.« Lucy fiel mir um den Hals.
»Halt, so einfach ist das nicht!« bremste ich sie. »Ich strecke dir das Geld vor. Wenn du bei der nächsten Mathearbeit eine Drei schreibst, kannst du’s behalten.
Wenn nicht, stotterst du es von deinem Taschengeld ab.«
»Na gut, wenn’s sein muß«, willigte Lucy ein.
Manchmal half nur Erpressung, leider. Was hatte ich mir nicht alles vorgenommen! Ohne Druck sollte meine Erziehung sein, nur getragen von Liebe, Nachsicht und Geduld.
Neidisch hatte ich als Kind auf meine antiautoritär erzogenen Altersgenossen gesehen, die im Winter ohne Schuhe rauslaufen und sich Marmelade in die Haare schmieren durften. Kinder wissen selbst, was gut für sie ist, hatte ich lange gedacht und noch länger verkündet.
Inzwischen war ich eines Besseren belehrt worden.
Kindererziehung ist eine Art Seilziehen, bei dem verbissen um jeden Millimeter Boden gerungen wird. Ständig prallten meine Interessen gegen die der Kinder, und es war bei weitem nicht so, daß ich als Erwachsene im Vorteil gewesen wäre. Im Gegenteil, Kinder, so hatte ich gelernt, verfügen über die Macht der Machtlosen und können einen leichter über die Linie ziehen als ein gleich starker Gegner.
Ich fühlte mich obendrein ziemlich alleingelassen mit der Aufgabe, Lucy und Jonas zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen. Friedrich hatte sich zwar für Erziehungsfragen noch nie zuständig gefühlt, aber in letzter Zeit wurde sein Desinteresse an der Familie immer schlimmer. Wir sahen ihn manchmal tagelang nicht, weil er morgens ins Labor verschwand, bevor wir aufgestanden waren, und spät abends wiederkam, wenn wir schon schliefen.
Als er eines Morgens überraschend zum Frühstück blieb, zeigte Lucy auf ihn und fragte: »Mami, wer ist der Mann?«
Friedrich lachte: »Du kannst Onkel zu mir sagen!«
Er küßte Lucy und Jonas.
»Iiih, nicht küssen!« schrie Jonas und rannte weg.
Friedrich drückte mich kurz an sich, und schon war er zur Tür raus.
Er sprach nie über seine Gefühle. Obwohl er kein kalter Mensch war, konnte er seine Empfindungen nur körperlich ausdrücken, nicht verbal. Wenn wir zusammen schliefen, spürte ich meist, wie es ihm ging. Wenn ich ihn fragte, erfuhr ich gar nichts. Trotzdem versuchte ich es immer wieder.
»Was soll denn sein?« gab er ungehalten zurück. »Ich muß wahnsinnig viel arbeiten, wir sind an einer großen Sache dran.«
»Aber du bist immer weg, und selbst, wenn du mal da bist, bist du innerlich nicht anwesend. Hast du mich in den letzten Wochen einmal gefragt, wie es mir geht?«
Er lächelte. »Also gut. Wie geht es dir?«
Ich winkte ab. »Vergiß es.«
Vielleicht verlangte ich wirklich zuviel.
Ich konnte mich eigentlich nicht beklagen: Friedrich hatte einen guten Job, er war lieb zu den Kindern und behandelte mich besser als viele Männer ihre Frauen.
Wenn davon ausgegangen wurde, daß Ehepartner pro Tag durchschnittlich acht
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