Am Anfang war der Seitensprung
hielten die anderen dagegen, »das ist ja wie Massentierhaltung!«
Ich sprach nicht gern vor vielen Leuten und hielt deshalb den Mund. Als ich nach meiner Meinung gefragt wurde, stammelte ich irgendwas von »Übergangslösung«,
»pädagogischen Aushilfskräften« und »langfristiger Planung«.
Dankbar, daß jemand nicht rumbrüllte, sondern in ruhigem Tonfall etwas von sich gab, wollte der Elternhaufen mich plötzlich zur Speerspitze seines Protestes machen und zur Sprecherin küren.
Ich zuckte zusammen. Nicht noch einen Job, bitte! Ich fühlte mich völlig ausgelastet mit einer Tochter kurz vorm Sitzenbleiben, einer Mutter mit Hang zum Psychodrama, einem Ehemann, der sich vor allem drückte, und einem Sohn, der sich noch nicht die Schuhe zubinden konnte.
Halbtags hatte ich einen Job, dazu ein Haus und einen Garten zu versorgen – es gab nichts, worauf ich weniger Lust hatte, als auch noch wochenlang auf Ämter und Behörden zu rennen. Außerdem kam Jonas in einem halben Jahr in die Schule, dann waren wir von der Zusammenlegung gar nicht mehr betroffen.
Die versammelten Eltern sahen mich auffordernd an.
Ich holte Luft, um zu sagen: »Nein, ich will das nicht machen.« Aber ich traute mich nicht.
Ich nickte resigniert, was von allen Anwesenden als Zeichen der Zustimmung gedeutet wurde. Flugs wurde ein Komitee gewählt, das mich bei meiner Aufgabe unterstützen sollte, und so fand ich mich wenig später in Gesellschaft von Frau Nessinger, einer weiteren Mutter mit politisch-kämpferischen Ambitionen und einem der Väter »Bei Reni« wieder.
Reni war die ausgemergelte Wirtin einer schmucklosen Vorstadtkneipe, in der ich höchstens mal ein paar Flaschen Bier holte, wenn Friedrich vergessen hatte, einen Träger zu kaufen.
»Marthe«, sagte die kämpferische Mutter und streckte die Hand aus. Der Vater hieß Horst, und dann erfuhr ich auch noch, daß Frau Nessinger auf den schönen Vornamen Wiltrud hörte.
Sie wohnte mit ihrer Familie in unserer Straße. Ihr Mann war als Vertreter von pharmazeutischen Produkten ständig unterwegs, ihre beiden Söhne machten ihr das Leben zur Hölle. Goofy, der Jüngere, war eigentlich ein ganz netter Bursche, sein Bruder Bastian dagegen ein aggressives, verschlagenes Kerlchen. Jonas kam oft heulend nach Hause, wenn er von ihm wieder gequält worden war.
Wiltrud war eine notorische Klatschtante. Vormittags arbeitete sie im Supermarkt, der ihr in erster Linie als Nachrichtenbörse diente. Das Geld brauchte sie natürlich auch; vermutlich war sie deshalb so scharf darauf, daß Goofy weiter in den Kindergarten ging.
Marthe erzog ihre Tochter Sina allein. »Von Anfang an«, wie sie betonte, es klang so, als wisse sie nicht einmal, wer der Vater war.
Horst erzählte uns ausgiebig von seiner Scheidung.
Seine Kinder lebten bei der Mutter, und um die Verbindung zu halten, stiefelte er brav zu ungeliebten Terminen wie Elternabend oder Kinderarzt.
Nachdem wir uns ein bißchen bekannt gemacht hatten, beratschlagten wir, was zu tun wäre, bis alle Gäste gegangen waren und Reni begann, die Stühle auf die resopalbeschichteten Tische zu stellen.
»Mama, ich brauche Geld«, teilte Lucy mir mit.
»Da geht’s dir wie uns allen«, tröstete ich sie.
»Ich will mehr Taschengeld! Ich brauche eine Stretchhose!«
»In deinem Schrank hängen mindestens zehn Hosen.
Darunter meine teure Lederjeans.«
»Ja, aber keine Stretchhose. Alle meine Freundinnen haben eine. Und die kriegen auch alle mindestens zweihundert Mark im Monat. Ich nur hundert.«
»Weißt du, wieviel Taschengeld ich mit fünfzehn gekriegt habe?« fragte ich, und es war mir, als hörte ich die Stimme meiner Mutter.
Diese saublöden Elternsprüche, warum waren sie einem so fest ins Gehirn gemeißelt, daß man sie unweigerlich hervorholte, obwohl sie einen früher so genervt hatten?
»Das kann man nicht vergleichen, das ist doch urlange her. Allein die Inflationsrate ist doch schon der Wahnsinn«, sagte Lucy.
»Erstens ist das nicht urlange her, sondern gerade mal zweiundzwanzig Jahre, und zweitens kriegst du auch unter Berücksichtigung der Inflationsrate ungefähr doppelt so viel wie ich damals.«
»Willst du, daß ich wieder klaue? Oder auf den Strich gehe?«
Böse schaute meine Tochter mich an. Ob das schon der unheilvolle Einfluß von Marco war?
»Nein, ich will, daß du begreifst, daß du nicht alles haben kannst, was deine Freundinnen haben. Und daß das Geld, das du so lässig verschleuderst, von deinem Vater
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