Am Anfang war der Seitensprung
die Hymne unserer kurzen Liebe.
Halb blind taumele ich ins Flugzeug, werfe mich in meinen Sitz und weine während des gesamten Fluges.
Kurz vor der Landung bietet mir meine Sitznachbarin, eine Japanerin, ein Kaugummi an. Ich lehne dankend ab.
Sie nimmt sich eins und beginnt, aus dem silbernen Papier etwas zu falten. Als das Flugzeug auf der Landebahn des John-F.-Kennedy-Flughafens aufsetzt, reicht sie mir einen winzigen Kranich.
» Good luck « , wünscht sie mir, » don’t be so sad! «
Das erste Mal an diesem Tag kann ich lächeln.
Meine New Yorker Freunde holen mich ab. Sie empfangen mich mit der Nachricht, daß John Lennon erschossen worden ist.
Ich spürte plötzlich, wie der Typ neben mir mich musterte.
»Rilke«, sagte er und streckte die Hand aus.
Verlegen erwiderte ich seinen Händedruck. »Schrader. Annabelle. Nein, Anna.«
»Nicki und Hartmann.« Er zeigte auf seine Freunde.
Wir standen an einer Ampel, neben uns wartete irgend so ein Prolo-Sportwagen. Aufreizend ließ der Fahrer den Motor aufheulen und schaute erwartungsvoll rüber.
»Kannst du haben«, preßte Nicki zwischen den Zähnen heraus und ließ ebenfalls seinen Motor aufjaulen. Die Ampel schaltete auf Gelb, im nächsten Moment rasten die beiden Autos los. Die Tachonadel des BMW schoß nach oben, als sie hundertzwanzig erreicht hatte, wechselte der Sportwagen, der sich links an Nicki vorbeigeschoben hatte, ohne Vorwarnung die Spur.
»Scheiße!«
Nicki trat mit aller Kraft auf die Bremse, der Wagen geriet ins Schlingern, torkelte kreuz und quer über die Straße und krachte gegen eine Plakatsäule. Mit ohrenbetäubendem Knall wurden die Airbags ausgelöst.
Der Sportwagen hupte dreimal laut und schoß davon. Bis ich mich von dem Schock erholt hatte und auf die Idee kam, mir das Kennzeichen zu merken, war er über alle Berge.
»Yesterday, all my trouble seemed so far away …«, tönte es aus dem Lautsprecher.
Ich hatte mich vor Schreck mit den Händen im Sitz verkrallt. Jetzt stellte ich fest, daß ich unverletzt war. Zum Glück war ich angeschnallt.
Ich sah rüber zu Rilke, auch ihm schien nichts passiert zu sein. Nickis Zeigefinger drückte auf einen Knopf am Recorder, die Musik stoppte.
Ich hörte ein Stöhnen. Hartmanns Kopf lag auf der Seite, seine Fensterscheibe war rausgeflogen, zwischen seinen kurzen, dunklen Haarstoppeln quoll Blut hervor. Ich tippte Rilke an. Er stieg aus, ging um das Auto herum und versuchte vergeblich, die Beifahrertür zu öffnen. Die ganze rechte Seite war eingedrückt.
»Alles klar, Hartmann?« fragte er durchs Fenster, und seine Stimme verriet, daß er viel aufgeregter war, als er zeigte.
»Tut scheißweh«, gab Hartmann zurück und betastete seinen Kopf. Er beugte sich zu Nicki.
»Ey, steig aus, ich will nachschauen, ob meine Knochen noch heil sind.«
Nicki hielt das Lenkrad, aus dessen Mitte der abgeschlaffte Airbag hing, umklammert. Er rührte sich nicht.
»Mein Alter bringt mich um, mein Alter bringt mich glatt um …«, murmelte er und bewegte den Kopf vor und zurück.
Ich klopfte ihm von hinten auf die Schulter.
»Du mußt ihm sagen: Reg dich nicht auf, Papa, ich könnte auch tot sein. Das wirkt Wunder.«
Nicki drehte den Kopf zu mir.
»Meinste echt?« fragte er hoffnungsvoll.
»Na ja, kommt darauf an, wie dein Papa so drauf ist«, schränkte ich ein. »Auf jeden Fall solltest du dich jetzt schnell entscheiden, ob du das Ganze mit Polizei abwickelst oder ohne.«
Ich hatte gesehen, wie in den umliegenden Häusern die ersten Lichter angegangen waren und Fenster sich geöffnet hatten. Noch war die Straße menschenleer, aber das konnte sich schnell ändern.
»Verdammt, sie hat recht«, sagte Hartmann. »Los, Rilke, steig ein, aber ein bißchen plötzlich!«
Rilke sprang in den Wagen, Nicki legte den Rückwärtsgang ein, es gab einen knirschenden Ton, als der eingedrückte Kotflügel sich von der Betonsäule löste.
»Nichts wie weg!« befahl Rilke, »in die Seitenstraße da vorne.« Folgsam gab Nicki Gas und bog bei der nächsten Gelegenheit rechts ab.
»Auf die Erfindung der Litfaßsäule!«
»Auf den Seitenaufprallschutz von BMW!«
»Auf Nickis Vater!«
»Auf Anna, die Frau mit der schnellen Reaktion!«
Wir saßen in der Küche einer riesigen Altbauwohnung und stießen mit Bierflaschen an.
Geschwindigkeitsüberschreitung, Sachbeschädigung, Unfallflucht. Ach ja, und Verletzung der Aufsichtspflicht.
Stolze Bilanz für eine Nacht.
Hoffentlich war Lucy heil nach Hause
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