Am Anfang war der Seitensprung
erzählst du noch, wie zufrieden du mit deinem Leben bist, Mann, Kinder, Job – alles prima. Und heute brauchst du plötzlich ’ne Wohnung?«
Ich nickte. Nachdenklich sagte ich: »Weißt du, bis gestern habe ich gedacht, mein Leben sei wie das Reihenhaus, in dem ich gewohnt habe. Übersichtlich und ordentlich, eben so wie alle Reihenhäuser. Man kommt rein und weiß genau, wo das Klo ist, wo die Küche und wo die Schlafzimmer. Und heute stelle ich fest, daß nichts mehr da ist, wo es hingehört.«
Sabine hatte den Kopf schiefgelegt. Dann nahm sie meinen Arm.
»Komm erst mal mit. Ein paar Tage kann ich dich unterbringen.«
Dankbar nahm ich das Angebot an es erschien mir weit verlockender, als allein in irgendeinem tristen Pensionszimmer zu hocken.
Sabine teilte sich eine Dreizimmerwohnung mit ihrer Freundin Kathrin, die Sport studierte, sämtliche denkbaren Sportarten ausübte, und, wie sich schnell rausstellte, über nichts anderes sprach. Sie bestand nur aus Muskeln, ihre Waden sahen ungefähr so aus wie die von Jürgen Klinsmann. Zur Begrüßung quetschte sie mir die Hand, daß ich leise aufstöhnte.
»Vorsicht, sie hat ’nen Tennisarm«, warnte Sabine.
»Du spielst Tennis?« fragte Kathrin, und es war klar, daß sie keine Sekunde daran glaubte. Bevor sie mich womöglich mit ein, zwei gezielten Fachfragen in Verlegenheit bringen konnte, zog ich es vor, die Wahrheit zu sagen.
»Nein, ich spiele nicht Tennis. Ich bin eine total unsportliche, übergewichtige, faule Hausfrau.«
Die zwei lachten.
»Das solltest du ändern, du bist doch noch nicht so alt, oder?«
Kathrin sah mich prüfend an. Für eine schätzungsweise Dreiundzwanzigjährige war eine Frau mit siebenunddreißig schon jenseits von Gut und Böse, nahm ich an.
Ich erklärte ihr, daß ich fast ihre Mutter sein könnte, und als Sabine mich mit dem Satz trösten wollte »Du bist doch höchstens vierzig«, hatte ich kein Bedürfnis mehr, das Thema zu vertiefen. Suchend schaute ich mich um.
»Wo soll ich denn pennen?«
Sabine deutete auf das Klappsofa im Wohnzimmer, das ich zwischen Rennrädern, Snowboards, Trimm-dich-Maschinen, Medizinbällen und Hanteln glatt übersehen hatte.
»Betreibt Ihr hier ein Fitness-Studio?« fragte ich staunend.
»Nur Eigenbedarf, die Benutzung ist gebührenfrei, falls du Lust kriegen solltest«, grinste Sabine. »Wir gehen heute abend übrigens auf ’ne Fete, komm doch mit! Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken.«
Ich fragte mich, wie solche Extrem-Sport-Freaks wohl feierten; vermutlich berauschten sie sich am exzessiven Konsum von Energy-Drinks und schlugen sich die Bäuche mit Selleriestangen und Karottensalat voll. Statt zu tanzen, absolvierten sie eine Trainingseinheit Aerobic, und statt sich ein paar Drinks reinzupfeifen, warteten sie auf die körpereigene Endorphin-Ausschüttung.
Ein bißchen Ablenkung könnte mir allerdings nicht schaden, ich hatte das sichere Gefühl, daß einsames Grübeln in fremden Wohnungen mein Befinden nicht verbessern würde.
Ob ich mich allerdings als cellulitisches Gruftie zwischen lauter hopsendem Frischfleisch besser fühlen würde, wußte ich auch nicht so recht.
»Ich überleg’s mir, danke jedenfalls.«
Mein Handy klingelte. Mit der Routine einer Geschäftsfrau in der Senator-Lounge zog ich den Apparat raus und meldete mich.
Kathrin und Sabine rissen die Augen auf. Eine Hausfrau mit Mobiltelefon, echt cool!
»Hallo, Mami, ich bin’s. Du, eine Frau hat angerufen, ich glaube, die hieß Frau Hart oder so, die hat gesagt, du mußt morgen zu den Gemeinen!«
Häh?
Ich verstand Bahnhof. Dann kombinierte ich. Das konnte nur Marthe gewesen sein, die mich daran erinnern wollte, daß wir morgen wieder einen Termin bei der Gemeinde hatten.
»Danke, Jonas. Wie geht’s euch? Alles in Ordnung?«
Jonas schluckte.
»Bist du noch wütend?«
»Ja, aber das hat nichts mit dir zu tun. Sag Omi, ich hole dich morgen vom Kindergarten ab. Und überleg dir bis dahin, was wir unternehmen.«
Ich zögerte einen Moment, dann fragte ich: »Wie geht’s Papa?«
»Der muß verreisen. Für drei Tage hat er gesagt, geschäftlich.«
Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken.
»Also, Schätzchen, bis morgen dann.«
Friedrich machte eine Geschäftsreise? Das hatte es ja schon ewig nicht mehr gegeben.
»Entschuldigt, Mädels, ich muß noch mal telefonieren.«
Die beiden traten den Rückzug an.
»Fühl dich wie zu Hause«, sagte Sabine beim Rausgehen.
Ich wählte die Nummer
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