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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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die ekstatisch um ein imaginäres Feuer tanzten und immer weiter in Trance gerieten. Der stampfende Herzschlag der Musik riß mich mit, zog mich in einen Strudel, der mich alles vergessen ließ. Vor allem die Tatsache, daß ich mit Abstand die älteste Person in der ganzen Halle war.
    »Kann die zum Sterben nicht woanders hingehen?« hörte ich eine vertraute Stimme direkt neben mir.
    Ich riß ungläubig die Augen auf. Da stand Lucy, in meiner Lederjeans, mit einem bauchfreien Top, neben sich einen blassen, schwarzhaarigen Kerl mit Koteletten und Rüschenhemd. Sie hatte mich nicht erkannt.
    »Lucy! Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«
    Sie fuhr herum und starrte mich entgeistert an.
    »Das fragst du mich?«
    Der Typ neben ihr grinste unverschämt. Ich packte sie am Arm.
    »Du kommst jetzt mit, und zwar sofort!«
    Ich zerrte sie Richtung Ausgang. »Weiß Papa, daß du hier bist?«
    »Der ist selbst nicht zu Hause.«
    »Und Omi?«

    »Schläft.«
    »Du bist also abgehauen«, folgerte ich messerscharf.
    Wir waren inzwischen draußen, wo die Leute in Grüppchen rumstanden und frische Luft schnappten.
    Lucy blieb stehen und blitzte mich an.
    »Ja, ich bin abgehauen, genau wie du. Und ich lasse mir von dir nichts mehr sagen, gar nichts!«
    Sie riß sich los und rannte zu dem Kerl mit den Koteletten, der uns gefolgt war. Er faßte sie beim Arm, und beide verschwanden in der Dunkelheit.
    Ich lief ihnen nach, irrte zwischen parkenden Autos, verrosteten Maschinenteilen und Müllcontainern herum und rief nach Lucy, aber sie war weg.
    Was sollte ich jetzt machen? Die Vorstellung, mich wieder in diesen Hexenkessel zu werfen, war mir zuwider.
    Ich hatte genug, ich wollte ins Bett. Aber wie sollte ich in die Stadt kommen? Weit und breit kein Taxi, keine U-Bahn, das Fabrikgelände lag am Arsch der Welt. Ich lief, bis ich auf der Straße war. Irgend jemand würde mich hoffentlich mitnehmen.
    Ein paar Lastwagen donnerten vorbei, keiner hielt.
    Nach einer Weile näherte sich ein Wagen, aus dem laute Musik dröhnte. Zu meiner Überraschung hielt er an. Es war ein neuer BMW, darin hockten drei Jungs, höchstens Anfang Zwanzig.
    »Na, Mutti, hat Vati dich an der Tankstelle vergessen?«
    Der Fahrer steckte seinen strubbeligen Haarschopf aus dem Fenster und grinste mich frech an.
    »Ich muß in die Stadt, könnt ihr mich mitnehmen?«
    Die drei tauschten Blicke.
    »Ich zahl euch fünfundzwanzig«, bot ich an, »soviel kostet das Taxi.«
    »Es kostet fünfunddreißig von hier aus, aber macht nichts«, sagte der Typ, der hinten saß. »Steig ein.«
    Ich setzte mich neben ihn.
    »Woher weißt du, was das Taxi kostet?« fragte ich.
    »Ich fahr selbst.«
    Er drehte den Kopf zu mir, lachende Augen hinter einer kleinen, runden Brille funkelten mich spöttisch an. Die leicht aufgeworfenen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Mein Gott, war das ein süßer Typ! Beschämt schaute ich zur Seite, ich war froh, daß er im Dunkeln nicht sehen konnte, wie rot ich geworden war.
    »Wo mußt du denn hin?«
    Der Knabe am Steuer fixierte mich im Rückspiegel. Er war eindeutig der Jüngste von den dreien, und ich bezweifelte, daß er einen Führerschein hatte.
    »Innenstadt«, sagte ich.
    Erstaunlicherweise hörten die Jungs alte Beatles-Songs.
    Die Musik war eine Erholung gegen das Techno-Gedröhne, ich genoß den menschenfreundlichen Rhythmus und die angenehmen Melodien. Die drei Knaben waren bester Stimmung. Sie warfen sich Gesprächsfragmente zu, deren Sinn ich nicht verstand, die aber große Heiterkeit hervorriefen, und grölten den Text mit.
    »Love, love me do, you know I love you«

    Ich bin auf meiner Abiturreise in San Francisco hängengeblieben, bei George, einem Typen mit sonnigem Gemüt und hinreißenden Muskeln. Ich hatte den bis dahin besten Sex meines Lebens und bin ziemlich verknallt.

    Es ist der Tag meiner Abreise, und er bringt mich in seinem alten Ford Torino zum Flughafen. Wir fahren durch die Mission Street, vorbei am Café Commons, wo ich fast jeden Tag gesessen habe. George macht einen Schlenker zum Meer, an die Stelle, wo wir kürzlich im gemieteten Segelboot durch die Bay gekreuzt sind.
    Mein Herz ist bleischwer, ich habe noch nicht oft Abschied genommen. Am Flughafen halten wir uns eng umschlungen, bis ich ausgerufen werde. Alle Passagiere sind schon an Bord. Als wir uns voneinander lösen müssen, überfällt mich ein Weinkrampf.
    » All you need is love! « flüstert George mir zum Abschied ins Ohr. Der John-Lennon-Song ist

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