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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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hervorragenden Manieren.
    Er hatte auffallend schöne Hände, Chirurgenhände, wie sich später herausstellte. Als Kind hatte er die parallele Jungenklasse in Queen Mums Schule besucht, beim Klassentreffen waren sie sich nach über vierzig Jahren das erste Mal wieder begegnet. Die letzten zwanzig Jahre hatte er in Südafrika, in Durban, gelebt, als Chef eines großen Krankenhauses. Vor ein paar Jahren war seine Frau gestorben, die erwachsenen Kinder waren in alle Winde zerstreut. Da hatte er beschlossen, in seine alte Heimat zurückzukehren.
    »Es ist merkwürdig, nach so langer Zeit wieder an die Orte der Kindheit zu kommen«, erzählte er. »Alles erscheint kleiner, die Wege sind kürzer, die Häuser niedriger. Die Zeit der Abwesenheit schnurrt zu einem Augenblick zusammen, und man fragt sich, wie die Nachbarin in so kurzer Zeit so stark altern konnte.«
    Er lachte. »Aber wie die Deutschen dieses Klima ertragen, ist und bleibt ein Rätsel für mich. Ich werde melancholisch, wenn ich länger als drei Tage die Sonne nicht sehe. Übrigens, ganz exzellent, diese … wie heißen sie noch … Rinderrollen?«
    »Rindsrouladen«, verbesserte Jonas und kicherte über die Wortschöpfung.
    Staunend beobachtete ich, wie Queen Mum ein Stück von einer Roulade abschnitt und probierte.
    »Wirklich gut«, lobte sie.
    Es war das erste Mal seit ungefähr vierzig Jahren, daß sie Fleisch aß.
    »Das mit der Sonne, das liegt an der Zirbeldrüse«, erklärte Lucy, »wenn die nicht genug Licht kriegt, kann sie einen bestimmten Stoff nicht herstellen, den wir brauchen, um gut drauf zu sein.«
    »Stimmt genau«, sagte Martin, »das klingt, als wärst du eine sehr aufmerksame Schülerin.«

    Lucy wurde rot. Die Schule war ihr wunder Punkt, seit klar war, daß sie die Klasse wiederholen mußte. Sie graulte sich davor, zu den Jüngeren zu kommen.
    Martin war neugierig geworden. »Was möchtest du später machen? Willst du Ärztin werden?«
    »Bloß nicht«, platzte Lucy raus, »nichts Naturwissenschaftliches. Vielleicht Werbung oder was mit Medien.«
    Irgendwas, wo man wenig arbeitet und viel verdient, meinte sie wohl. Es zeichnete sich immer mehr ab, daß Lucy vom Ehrgeiz nicht gerade zerfressen war.
    »Ich werde Ornithologe«, trumpfte Jonas auf, »ich kenne schon zweihundert Vogelarten.«
    Nach der Sonne kamen wir auf den Mond zu sprechen.
    Jonas gab seine gesammelten Erkenntnisse zum besten:
    »Bei Ebbe trinkt der Mond das Wasser und bei Flut spuckt er’s wieder aus. Bei Vollmond schreien die Katzen, und die Erwachsenen können nicht schlafen. Und die Verliebten küssen sich die ganze Nacht.«
    Es wurde ein angenehmer Abend. Queen Mum war aufgeräumt wie selten, und Martin unterhielt uns mit spannenden Erzählungen aus Afrika. Zwischendurch schlich ich mich raus, um Rilke anzurufen und unsere Verabredung abzusagen. Ich verging vor Sehnsucht, aber ich konnte mich jetzt nicht verdrücken.
    Gegen Mitternacht gingen wir alle schlafen.
    Ich las im Schein meiner Nachttischlampe in einem Gedichtband, den Rilke mir geschenkt hatte. »Die jungen Wilden in der Lyrik« hieß das Buch, und auf Seite 41 hatte Rilke ein Gedicht angekreuzt und dazugeschrieben: »Für Bella, die Schöne, für Anna, das Tier. Ich begehre dich. R.«

    Dunkler Dezember.
    Im Süden noch ein Hauch von Sommer den ich trotzig einfing wohl wissend daß es nur ein kurzer Rausch sein würde.

    Noch immer auf der Suche nach dem Ort zum Überleben.
    Vielleicht gibt es sie doch die Abenteuer, Augenblicke in denen alles möglich ist.
    Der Sturz in eine andere Welt, die wir erschaffen und für Momente kann ich dein Gefährte sein.
    Ich ließ das Buch sinken. Nur ein kurzer Rausch. Was wollte Rilke damit sagen? War das Gedicht überhaupt von ihm?
    Ich suchte nach dem Namen des Verfassers. »F. Mittermaier« stand in Klammern unter dem Gedicht. Ob das Felix war? Ich wußte tatsächlich nicht, wie sein Nachname war.
    Weiter hinten im Buch wurde ich fündig.
    In kurzen Selbstportraits stellten sich die Autoren vor.
    »Felix Mittermaier, Künstlername »Rilke«, geb. 1974 in Würzburg. Student, Taxifahrer, Dichter, Musiker, Party-Löwe, Existentialist. Liebt Fast Food, Flaschenbier, intelligente Computerprogramme und ebensolche Frauen.«
    Ich ließ das Buch sinken. Wie viele Frauen hatte es in seinem Leben schon gegeben? Eine kleine Angst, eine eklige, bohrende Eifersucht regten sich in mir.
    Rilke gewährte mir nur zu einem Teil seines Lebens Zutritt. Er war neugierig auf andere, sprach

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