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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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müssen. Sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein. Neuerdings telefonierte sie ständig; sie war schlimmer als Lucy. Das Telefon war ganze Abende lang blockiert, die Telefonrechnung stieg in astronomische Höhen. Ich nahm an, sie plauderte mit ihren Mitjüngern über die neuesten Erleuchtungstechniken. Aber weil sie ansonsten friedlich war, ließ ich sie in Ruhe. Bloß keinen Streit vom Zaun brechen!

    Meine Leidenschaft für Rilke wirkte wie ein Fitness-Programm. Ich hatte weitere sechs Pfund Gewicht verloren, kam mit der Hälfte meines früheren Schlafpensums aus und strotzte vor Energie. Die brauchte ich auch, denn die Nächte mit Rilke waren anstrengend.
    Meist gingen wir aus, besuchten Lesungen oder Konzerte und verbrachten viele Stunden im Probenkeller, wo er mit seiner Band neue Stücke einstudierte. Eines Tages drückte er mir ein Mikro in die Hand.
    »Sing!« forderte er mich auf.
    »Ich kann nicht«, wehrte ich ab.
    »Klar kannst du, du traust dich bloß nicht.«
    Er hatte recht. Aber wovor hatte ich Angst? Davor, bei den Jungs von der Band einen schlechten Eindruck zu machen? Geschenkt, die fanden es ohnehin völlig schrill, daß Rilke mit so einer Alten rumzog. Vor Rilke? Der hatte mich in weit intimeren Situationen erlebt, vor ihm mußte ich mich nicht schämen.
    »Also gut.«
    Ich stellte mich gerade hin, nahm das Mikro hoch und röhrte: »Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz«
    Die Jungs standen rum und lauschten. Als ich geendet hatte, applaudierten sie.
    Kim, der Schlagzeuger, der mich immer besonders arrogant behandelt hatte, sagte überrascht: »Echt cool, Bella. Schade, daß du schon so alt bist.«
    »Werd du erstmal so alt, wie du aussiehst«, gab ich zurück.
    Die anderen lachten.
    »Wenn Janis noch leben würde, wäre sie jetzt so alt wie meine Oma«, sinnierte Pit, der Bassist. »Ich wette, sie würde immer noch auf der Bühne stehen.«
    »Dann hab ich ja noch Zeit«, stellte ich fest und gab Rilke das Mikro zurück.

    »Hättest du nicht Lust, mal aufzutreten?« fragte er, »ich schwöre dir, es ist das geilste Gefühl überhaupt.«
    »Kann ich mir nicht vorstellen«, grinste ich anzüglich.
    Rilke schenkte mir ein Lächeln, daß mich wünschen ließ, wir stünden nicht in einem zugigen Probenkeller herum, sondern lägen zu Hause auf seiner Matratze.
    Ich begehrte den Kerl, daß es fast weh tat. Ich konnte nicht genug kriegen von seiner Unbekümmertheit, seiner Zartheit, seiner Wildheit. In den Nächten mit ihm begriff ich, daß das, was ich bisher für ein ausgefülltes Liebesleben gehalten hatte, eben doch nur der ganz normale, Zwei-bis-dreimal-die-Woche-Hetero-Sex gewesen war.
    Aber es war nicht nur der Sex mit ihm, der mich halb wahnsinnig machte vor Glück. Ich liebte es, mit ihm durch die Bars zu ziehen, mit wildfremden Leuten Diskussionen über den Sinn der menschlichen Existenz zu führen, ausgeflippte Kunst-Aktionen zu planen, in seiner WG-Küche zwischen leeren Bierflaschen und ungewaschenen Tellern zu hocken und zuzuhören, wie er mir Gedichte vorlas. Welche seine eigenen waren und welche nicht, bekam ich nach wie vor nicht raus. Er machte sich einen Spaß daraus, mich im unklaren darüber zu lassen.
    Bald spielte der Altersunterschied keine Rolle mehr.
    Ich hätte mich in Rilke auch verliebt, als ich zwanzig war. Ich war doch noch dieselbe Person. Nur ein paar Jahre älter. Hatte ich deshalb kein Recht mehr, in ihn verliebt zu sein? Ich fühlte mich jung, weil ich mich ihm nah fühlte. Und er hatte, trotz seiner Jugend, etwas sehr Erwachsenes. Anfangs machte ich mir Gedanken, was andere denken oder sagen könnten, wenn sie uns zusammen sahen. Nach kurzer Zeit interessierte es mich nicht mehr.

    In manchen Nächten konnte ich nicht bei ihm sein, weil er Taxi fuhr, Nachtwachen machte oder Briefe sortierte.
    Oft war er auch mit Dingen beschäftigt, über die er mir nichts sagte. Dann lag ich zu Hause im Bett, fröstelnd vor Übermüdung, aber unfähig, zur Ruhe zu kommen.
    Ich war wie auf Drogen, ich nehme an, Koks oder Amphetamin haben eine vergleichbare Wirkung.
    Friedrich und Doro wurden mir immer gleichgültiger.
    Ich war fast froh darüber, daß alles so gekommen war, sonst hätte ich Rilke ja nicht getroffen. Friedrich fehlte mir überhaupt nicht.

    Eines Tages erwartete mich Doro vor der Bank.
    Sie hatte mir eine Reihe von Rechnungen für Teppichreinigung, Reinigung von Sitzbezügen und Kissen, Neubezug eines Polsterbettes und Kauf von Frotteehandtüchern in Höhe

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