Am Anfang war der Seitensprung
aber ungern über sich. Ich hatte es ziemlich schnell aufgegeben, Fragen zu stellen.
Wenn wir uns sahen, dann auf seine Initiative hin. Ich wagte kaum, ihn anzurufen, weil ich Angst vor einer Zurückweisung hatte. Es quälte mich, meist nicht zu wissen, wo er war, was er tat und wann wir uns wiedersehen würden. Aber es gab keine Chance, das zu ändern.
Diese Liebesgeschichte funktionierte zu seinen Bedingungen. Ich hatte nur die Möglichkeit, das zu akzeptieren oder ihn zu verlieren.
Ich hörte ein Geräusch. Es kam von draußen, durchs geöffnete Fenster. Ein Rascheln, dann Schritte, ein trockenes Klacken. Ich schaltete die Lampe aus und schlich mit klopfendem Herzen ans Fenster. Ob das ein Einbrecher war? Gott sei Dank war Martin im Haus, er wirkte rüstig genug, um einen Fassadenkletterer in die Flucht schlagen zu können. Vielleicht war es auch Friedrich, der sich auf diesem Weg Einlaß ins Haus verschaffen wollte?
Aufgeregt spähte ich in die Dunkelheit. Ich entdeckte einen Schatten, der sich bewegte. Neben meinem Kopf zischte ein Kiesel vorbei und knallte an den Fensterladen.
In diesem Moment trat eine Gestalt aus der Dunkelheit.
Fast hätte ich aufgeschrien. Es war Rilke.
»Was machst du denn hier?« flüsterte ich.
Er warf mir Kußhände zu, drückte die Hände an sein Herz, zeigte auf seine Leibesmitte, zeichnete mit den Händen einen riesigen Penis und gab mir mit allen Mitteln der Pantomime zu verstehen, daß er sich einen Strick nehmen würde, wenn ich ihn nicht sofort in mein Schlafgemach ließe.
Da hatte ich mir ja was eingefangen mit diesem jugendlichen Liebhaber! Eine Nummer wie aus Romeo und Julia, zweifellos romantisch, aber doch ziemlich unpraktisch. Was sollte ich hier mit ihm, wo jeden Moment eins meiner Kinder oder gar meine Mutter auftauchen könnte?
Plötzlich war mir das alles ganz egal. Ich wollte ihn in den Armen halten, jetzt sofort. Schnell gab ich ihm ein Zeichen, daß ich runterkommen würde. Schon an der Terrassentür packte er mich, drückte mich an sich und küßte mich heftig. Die Geilheit fuhr wie eine Stichflamme in mich hinein.
Ich zog ihn hinter mir die Treppe hinauf und schloß das Schlafzimmer von innen ab. Wir stürzten aufs Bett und rissen uns gegenseitig die Kleider herunter. Er drang sofort in mich ein. Statt, wie ich erwartet und gehofft hatte, wild draufloszuvögeln, hielt er inne, sah mich an und begann, sich ganz sachte in mir hin und herzubewegen.
In immer größer werdenden Wellen schwappte die Erregung über mich, bis ich dachte zu explodieren. Daß alles schweigend vor sich gehen mußte, steigerte die Intensität noch. Ich kam mit einer Heftigkeit, die mich fast besinnungslos werden ließ. Leicht und elegant erreichte kurz danach Rilke seinen Höhepunkt.
Ich weiß nicht, wie lange wir danach Arm in Arm dalagen und schwiegen. Immer wieder dämmerte ich kurz ein, kam wieder zu mir, spürte seine Nähe, die Wärme seines Körpers.
Irgendwann tappte ich aufs Klo. Ob Lucy schon wieder da war? Ich war zu müde, um nachzusehen.
»Ich mache mich gleich auf den Weg«, flüsterte Rilke, als ich ins Bett zurückkam. Ich nickte. Sekunden später war ich eingeschlafen.
»Mami, wer ist der Mann?«
Ich fuhr hoch. Jonas stand neben dem Bett und zeigte anklagend auf Rilke. Der hatte offenbar seinen Abgang verpaßt und schlief den Schlaf des Gerechten.
»Ich erklär dir alles später«, flüsterte ich erschrocken,
»bitte geh in dein Zimmer und leg dich noch mal hin.«
»Ich kann aber nicht mehr schlafen«, trötete Jonas.
»Mensch, sei doch leise«, fauchte ich, »du weckst ja das ganze Haus auf!«
Diesen Tonfall war Jonas nicht gewöhnt. Er fing an zu heulen.
Ich saß im Bett und raufte mir die Haare. Was sollte ich bloß tun? Wenn Jonas nicht aufhörte zu plärren, würden alle aufwachen, und Rilkes Fluchtweg wäre abgeschnitten.
Ich zog ihn ins Bett und nahm in in den Arm.
»Bitte, Jonas, sei leise«, flehte ich. Er steckte den Daumen in den Mund, was so wirkte, als hätte man ihn mit einem Korken verstöpselt. Sein Weinen klang gedämpfter, in der Stille des Morgens kam es mir aber immer noch vor wie der Lärm eines Düsenjets.
Rilke drehte sich um und klappte die Augen auf.
»Scheiße.« Er gab Jonas die Hand. »Morgen, Kollege, wie geht’s?«
»Bist du ein Schornsteinfeger?« fragte Jonas interessiert und hörte schlagartig auf zu heulen.
Rilke setzte sich auf und grinste. »Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Die geben einem immer die
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