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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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besondere Niederträchtigkeit an.
    »Warte, ich hör doch überhaupt nichts«, sagte ich und nahm den Kopfhörer ab. »So, jetzt. Was ist los?«
    »Ich ziehe aus«, sagte sie.
    Na, endlich! dachte ich und fühlte eine große Erleichterung.
    Im nächsten Moment begriff ich, was das hieß: Ich hätte niemanden mehr, der nachts die Kinder beaufsichtigte.
    Ich konnte Jonas aber noch nicht allein lassen, und auf Lucy war kein Verlaß. Es bedeutete, daß ich Rilke nicht mehr sehen würde.
    »Aber warum denn, Mummy? Deine Wohnung ist noch längst nicht fertig!«
    »Weil ich es nicht mehr ertrage, zuzusehen, wie du deine Familie zerstörst«, sagte sie mit pathetischer Stimme und zerquetschte ihre Kippe im Aschenbecher. Aufrecht und unnahbar wie eine Statue stand sie im Raum. Ich war aufgesprungen und hatte ihre Handgelenke gepackt.
    »Aber was tue ich denn? Ich habe mich verliebt, genau wie du. Du müßtest mich doch verstehen!«
    Flehend sah ich sie an, aber ihr Gesichtsausdruck blieb unerbittlich.
    »Der große Unterschied ist, daß ich keinen Mann und keine kleinen Kinder habe«, dozierte sie. »Jonas und Lucy brauchen ihren Vater.«
    »Aber sie sehen ihren Vater! Er wohnt nur nicht mehr hier.« Ich hielt sie fester. Ärgerlich schüttelte sie meine Hände ab.
    »Das ist mir egal. Ich werde nicht länger dafür sorgen, daß du nachts zu deinem Liebhaber verschwinden kannst. Ich gehe, und zwar sofort.«
    Ich folgte ihr auf den Flur, wo eine ihrer Taschen stand.
    Verzweiflung packte mich. In einer halben Stunde wartete Rilke auf mich. Ohne nachzudenken schubste ich meine Mutter in ihr Zimmer, drehte den Schlüssel herum und steckte ihn ein.
    »Annabelle, mach sofort auf!«
    Sie hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Ich rannte die Treppe hinunter und aus dem Haus. Wie von Sinnen raste ich zur »Wunderbar«.

    Rilke saß mit Freunden am Tisch, ich zog ihn in den Vorraum und warf ich mich in seine Arme.
    »Bella, was ist los?«
    »Bin ich dir wirklich wichtig?« schluchzte ich.
    »Was soll die Frage?«
    »Was würdest du tun, um mich weiter sehen zu können?«
    »Was müßte ich dafür tun?«
    »Komm zu mir!«, wollte ich schreien, »leb mit mir, bleib immer bei mir!«
    Im letzten Moment biß ich mir auf die Lippen. »Wer liebt, ist schwach«, hatte er mal gesagt, »deshalb habe ich beschlossen, nicht zu lieben, nur zu begehren.«
    Ich liebte. Ich war schwach. Aber ich durfte diese Schwäche nicht zeigen.
    »Nichts«, sagte ich, »entschuldige. Geh zu den anderen, ich komme gleich.«
    Er sah mich aufmerksam, fast warnend an. Das letzte, was er sich wünschte, war eine hysterische Alte, die ihm vor seinen Freunden eine Szene machte.
    Auf dem Klo kühlte ich meine verheulten Augen, puderte meine Nase und zog meine Lippen nach. Ich hatte mir angewöhnt, mich zu schminken. Ich wollte an jedem Tag, in jedem Moment so gut aussehen wie irgend möglich. Die Zeit war so knapp.
    Dann setzte ich mich zu Rilke und seinen Freunden und bestellte einen Wodka Orange. Ich versuchte, cool und entspannt zu wirken, obwohl ich völlig durcheinander war.
    Ich nahm sogar die Zigarette an, die mir Fixi, ein Mädchen aus der Runde, anbot. Rilkes Clique bestand aus einem harten Kern von Freunden, darunter die Jungs von der Band und ein paar Leute von der Uni. Heute war auch die doofe Daisy dabei, die einzige, die ich nicht leiden konnte.
    Sie hatte den Verstand einer Zimmerpflanze, quasselte pausenlos dummes Zeug und kam sich toll dabei vor.
    Angeblich kannte sie irgendwelche wichtigen Leute, ich wußte aber nicht, welche. Man redete über Filme, wer welchen Lieblingsfilm hatte, und warum. »Blade Runner«, »Thelma und Louise«, »Pulp Fiction«, »Romeo und Julia« – Titel und Namen schwirrten durch die Luft. Ich konnte dem Gespräch nicht folgen.
    »Was ist dein Lieblingsfilm, Bella?« wollte Fixi wissen.

    Erwartungsvoll sahen mich fünf Jugendliche an.
    »Äh … Easy Rider«, stammelte ich.
    Die fünf lächelten nachsichtig, als hätte ihre Oma sie gebeten, einen Volksmusiksender am Radio einzustellen.
    »Aber ›Knockin’ on heaven’s door‹ finde ich auch gut!« beeilte ich mich zu sagen. Das machte die Sache nicht besser.
    »Der ist doch völlig infantil«, quäkte Daisy.
    »Dann müßte er dir doch gefallen«, gab ich zurück.
    Die anderen lachten, fanden aber, daß Daisy recht hatte.
    War heute nicht mein Tag.
    Ob Queen Mum noch in ihrem Zimmer saß und an die Tür klopfte? Sie würde doch hoffentlich nicht versuchen, sich aus dem

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