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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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lassen.«
    Als das Taxi da war, begleitete ich sie hinaus. Ich verstaute ihre Tasche im Kofferraum, dann umarmte ich sie. Ich schluckte.
    »Mach’s gut, Mummy.«
    »Mach’s gut, mein Anna-Kind.«

    Ich bin fünf Jahre alt. Der Wagen mit meinen Eltern entfernt sich, links winkt der Arm meines Vaters zum Fenster raus, rechts der meiner Mutter. Ich stehe an der Hand einer Erzieherin vor einem idyllisch gelegenen Kinderheim im Schwarzwald, wo mich meine Eltern während ihrer Asienreise für vier Wochen untergebracht haben.
    Schwärzeste Einsamkeit senkt sich über mich. Der helle Sommertag wird grau, die Farbe scheint aus allen Gegenständen zu weichen.

    » Komm! « fordert mich die Erzieherin auf.
    Meine Beine zittern, ich weiß nicht, wie ich sie bewegen soll. Sie zieht mich ins Haus, die Treppe hoch, in einen Schlafraum mit acht Kinderbetten. Die Wände sind holzgetäfelt, der Boden aus dunklen Dielen. Auf den Betten liegen ordentlich zusammengelegte Pyjamas und Nachthemden, daneben Puppen und Kuscheltiere.
    Niemand außer uns ist im Raum, von draußen hört man Kinderstimmen. Winzige Staubpartikel tanzen in der Spätnachmittagssonne, die durch die vielfach unterteilten Scheiben des Fensters fällt. Dahinter erstrecken sich grüne Hügel, unterbrochen von größeren Waldstücken und gesprenkelt mit Bauernhöfen, die so klein und putzig in der Landschaft stehen wie die Faller-Häuschen in der elektrischen Eisenbahnanlage unseres Nachbaijungen.
    Die Erzieherin wuchtet meinen Koffer auf ein Bett und beginnt, meine Kleider in einen Schrank zu räumen, dessen Fächer mit gestreiftem Papier ausgeschlagen sind.
    Ich lege meine Puppen und Kuscheltiere in einer Reihe aufs Kopfkissen und mich daneben.
    Ich ziehe die Knie an die Brust, stecke meinen Daumen in den Mund und schließe die Augen. So will ich liegenbleiben, bis die vier Wochen um sind.
    » Steh auf, es ist Vesperzeit. Jetzt lernst du die Kinder kennen. «
    Ich kneife die Augen zusammen und schüttle den Kopf.
    » fetzt komm schon « , wiederholt sie und will mich vom Bett ziehen.
    » Neiiiin « , schreie ich und beginne, wild um mich zu schlagen. » Mama, Mama, Mama, Mama! «
    Ich schreie und schreie, die Erzieherin läuft aus dem Schlafraum, kommt wenig später mit einer älteren Dame zurück, ratlos stehen die beiden vor dem Bett. Ich trete in ihre Richtung und schreie noch lauter.
    » Lassen wir sie « , flüstert die Ältere, » sie wird sich schon beruhigen. «
    » Ist gut « , höre ich die Stimme der anderen, » ich seh dann nach ihr. «
    Ich schreie weiter, bis ich nicht mehr kann. Schluchzend und schluckend bleibe ich auf dem Bett liegen und hoffe, daß ich einschlafe und erst wieder aufwache, wenn meine Ehern zurück sind.
    Immer wieder nähert sich die Erzieherin.
    » Willst du was essen! « fragt sie oder: » Möchtest du jetzt runterkommen? «
    Ich nehme keine Notiz von ihr.
    Das Sonnenlicht wandert weiter, irgendwann ist es verschwunden. Der Raum wird dämmrig, ich schlafe ein.
    Als ich aufwache, ist es stockfinster. Ich weiß nicht, wo ich bin, spüre nur, daß der Raum fremd ist, höre Geräusche, die ich nicht kenne.
    Außer mir vor Angst schreie ich wieder los, eilige Schritte nähern sich, das Licht wird angeknipst, verschlafene Kinder fahren in ihren Betten hoch. Die Erzieherin schießt zu mir, jetzt reißt ihr der Geduldsfaden.
    » Gibst du jetzt Ruhe, du ungeratenes Gör! « faucht sie mich an.
    Statt einer Antwort übergebe ich mich.
    Kreischend weicht sie zurück, stampft aus dem Raum, kommt mit Eimer und Wischlappen zurück und entfernt schimpfend die kläglichen Reste meines Mittagessens von Bett und Boden. Dabei hatten mich meine Eltern zum Abschied noch mal extra fein ins Restaurant eingeladen.
    Königsberger Klopse mit Reis, danach ein großes Erdbeereis mit Sahne.
    Die Erzieherin zerrt mich ins Bad, setzt mich aufs Klo, reißt mir die Kleider herunter und streift mir ein Nachthemd über. Wimmernd krümme ich mich wenig später wieder in meinem Bett zusammen.
    » Mama, Mama, Mama « , weine ich leise vor mich hin.
    Die Sehnsucht sprengt meinen Kinderkörper, ich habe das Gefühl, in Einzelteile zu zerfallen. Es ist ein Schmerz, so tief und hoffnungslos, wie ich ihn noch nie empfunden habe.

Fünfzehn
     
    »Wo ist Omi?« fragte Jonas beim Frühstück.
    Ich erklärte ihm, daß sie zu Martin gezogen sei, schön grüßen lasse und sicher bald zu Besuch käme.
    »Finde ich echt Scheiße, einfach so abzuhauen«, beschwerte sich Lucy.
    »So

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