Am Anfang war der Seitensprung
nickte.
»Da mußt du jetzt durch«, sagte sie, und es klang ziemlich schadenfroh.
Du Biest, dachte ich, dir werde ich zeigen, daß deine Mutter kein Auslaufmodell ist, ohne Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll! Außerdem wollte ich ja ab jetzt lauter Sachen machen, vor denen ich Angst hatte. Nach dem Treffen mit Friedrich war dieser Auftritt die passende Fortsetzung.
Ich schlängelte mich zwischen den Tischen hindurch, bis ich neben der Bühne angekommen war, schob den schweren braunen Vorhang zur Seite und schlüpfte in den Backstage-Bereich.
Rilke und die anderen saßen auf Bierbänken an einem langen, schmalen Tisch, rauchten und tranken aus Maßkrügen Mineralwasser. Daß die Jungs von
»Heartbeat« bei einem Auftritt abstinent blieben, überraschte mich.
Ich hatte mir immer vorgestellt, daß alle Musiker sich mit irgendwas die Birne vollknallten, um gut drauf zu kommen.
»Hi, Bella, wie sieht’s aus?«
»Alles klar«, sagte ich gespielt munter. Mir war flau zumute, am liebsten hätte ich einen Schnaps gekippt.
»Setz dich her.« Rilke rutschte ein Stück. »Also, wir spielen das kurze Ding zum Aufwärmen, dann sage ich dich an und wir beginnen mit ›Gloria‹. Danach ›Back on the chain gang«, das bringt Stimmung. Dann was Ruhiges, da nehmen wir »Summertime«, schlug ich vor.
»O. k. Dann ›Half Moon‹, und zum Schluß ›Till victory‹. Wenn’s eine Zugabe gibt, nehmen wir ›Bye, Bye Baby‹.«
»Lieber den Faithfull-Song«, sagte ich.
»Wie du willst, entscheiden wir dann spontan. Alles klar?«
Vier Köpfe nickten artig. Rilke hatte als Bandleader unbestreitbar Autorität.
Ein Mitarbeiter des »Easy Club« streckte seinen Kopf durch den Vorhang.
»Noch fünf Minuten.«
Endlich standen die Jungs auf, streckten sich und stiegen hintereinander die kleine Treppe zur Bühne hoch. Applaus erklang, die Unterhaltung versiegte, die ersten Takte perlten durch den Raum. Ich schloß die Augen und atmete tief durch. Ich hatte nichts zu verlieren.
Außer meiner Selbstachtung.
»Und nun, liebe Leute, ist es mir eine besondere Freude, euch einen Gast anzukündigen. Es ist nicht irgendein Gast, sondern eine Künstlerin, deren ungewöhnliche Stimme man gehört haben muß. Sie ist schon seit vielen Jahren im Geschäft, und wenn ihr den Namen nicht kennt, dann liegt es an euch, nicht an ihr. Begrüßt mit mir: The one and only Bella Schrader!«
Ich tat einen tiefen Atemzug und versuchte, meinen Kopf auszuschalten. Energisch schritt ich die Stufen hoch und trat ins Scheinwerferlicht. Zögernder Beifall begrüßte mich. Die Leute flüsterten miteinander, fragten sich offensichtlich, wer zum Teufel diese Bella Schrader wäre, die ihnen da überraschend serviert wurde.
Die Jungs legten los und ich schmetterte die Patti-Smith-Version von »Gloria«. Kein besonders anspruchsvoller Titel, aber gut, um reinzukommen. Der Beifall war äußerst verhalten. Rilke und ich tauschten einen Blick. »Nur ruhig«, schien er mir zu sagen, »das wird schon.«
Aber es wurde nicht. Auch der Pretenders-Ohrwurm riß niemanden vom Hocker. Es wurde geklatscht, aber es klang eher höflich als begeistert.
Mir brach der Schweiß aus. Was machte ich falsch? Der nächste Song war »Summertime«, eine Janis-Joplin-Nummer. Bei Janis fühlte ich mich sicher, da kam der Blues in meiner Stimme am besten zum Tragen.
Diesmal klatschten die Leute ein bißchen stärker, aber auch nur kurz.
Zum Glück konnte ich wegen der Scheinwerfer niemanden sehen. Das Publikum war eine amorphe Masse irgendwo vor mir im Dunkeln. Hätte ich Gesichter gesehen, Blicke, die auf mich gerichtet waren, hätte ich vermutlich sofort die Flucht ergriffen. So stand ich da wie gelähmt und fragte mich verzweifelt, warum der Funke nicht übersprang.
Bei der Probe hatte alles so gut geklappt, aber offensichtlich merkten die Leute meine fehlende Bühnenerfahrung. Ich suchte die Blicke der Band. Kim und Pit schauten weg, Michel, der Keyboarder, schaute hilfesuchend zu Rilke, der auf seiner Unterlippe kaute.
Wenn mein Auftritt ein Flop wurde, mußte er es dem Veranstalter gegenüber verantworten. Ich war die einsamste Frau im Universum. Ich segelte durch den Raum, ohne Verbindung zu einem anderen Stern. Da ist er also, der schlimmste Moment deines Lebens, dachte ich überrascht. So hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Und alles nur, um meinen jungen Lover zu beeindrucken.
Jetzt hilft nur noch die Flucht nach vorn, schoß es mir durch den Kopf. Ich nahm das Mikrofon
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