Am Anfang war der Seitensprung
besonders. Warum nur hatte er sich mich ausgesucht? Wie lange konnte das gutgehen? Rilke packte mit einem Griff mein Haar im Nacken und bog meinen Kopf weit zurück, um mich zu küssen.
Ich schob die düsteren Gedanken schnell weg. Ich war hier, bei ihm, ich liebte unser Zusammensein, und ich würde jede Sekunde genießen.
Pünktlich um zehn am nächsten Morgen klingelte ich an der Tür des Hauses Tulpenweg 14. Es war kein Reihenhaus, sondern eines der wenigen alleinstehenden Häuser mit eigener Auffahrt. Vor der Garage stand ein neuer Mercedes.
Eine Frau meines Alters in einem perfekt gebügelten, karierten Hemdblusenkleid öffnete. Bei meinem Anblick erstrahlte ein Lächeln auf ihrem – ebenfalls perfekt – geschminkten Gesicht. Eine perfekt geschnittene Frisur vervollständigte das Bild eines Frauentyps, den ich bislang nur aus Hochglanz-Magazinen kannte, dessen reale Existenz ich aber immer angezweifelt hatte.
Sie führte mich ins Wohnzimmer, über dessen Tür der auf Leinen gestickte Spruch: »Tritt ein, bring Glück herein« prangte.
Der Raum war möbliert wie aus dem Kaufhauskatalog.
Eine helle Sitzgruppe ohne den kleinsten Fleck, dekorativ verstreute Deckchen, Schälchen und Vasen, an den Wänden aus Strohblumen geflochtene Kränze und Zierteller. Nur zwei Fotos auf dem Fernseher und ein vergessenes Spielzeugauto verrieten, daß dem Haushalt Kinder angehörten. Spontan empfand ich Mitleid für die armen Wesen, die in einer solchen Umgebung aufwachsen mußten. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Frau Schrader?«
Ich nickte.
»Einen Schluck Mineralwasser vielleicht?«
»Ja, gern.«
Die Frau verschwand und kehrte mit einem Tablett wieder, auf dem zwei bis auf den Millimeter genau gleich eingeschenkte Gläser standen, die sie formvollendet auf Untersetzern aus Zinn servierte.
»Ich freue mich so, daß Sie Interesse für unser Produkt zeigen«, sagte sie und strahlte mich an.
»Ahm, also … das weiß ich ja nicht so genau, ich kenne doch das Produkt noch nicht.«
Sie schlug ihre perfekt manikürten Händen geziert zusammen und lachte ihr perlendes Lachen.
»Ach ja, richtig. Ich werde Ihnen alles erklären.«
Aus einer Schublade holte sie einen Stapel Prospekte, aus einem Schrankfach eine Anzahl Dosen.
»Wir haben hier das perfekte Produkt«, sagte sie.
Na, das paßt ja, dachte ich, innerlich grinsend.
»Jeder von uns will schön, schlank und gesund sein, nicht wahr?« fuhr sie fort.
Ich stimmte zu.
»Sehen Sie, und mit »Beautyline« kann es jeder schaffen.«
Wie bitte, »Beautyline«? Das kannte ich doch.
Ich griff nach einer der Dosen. Tatsächlich. Es war dieses supergeile, schweineteure Wunderpulver aus Amerika, das ich von Doro geschenkt bekommen hatte.
»Das gibt’s jetzt in Deutschland?« fragte ich verblüfft.
Die Frau nickte eifrig. »Ja, wir haben den Exklusivvertrieb übernommen. Sie kennen ’Beautyline’ bereits?«
Sie sah mich aufmerksam an, als wollte sie an meinem Gesicht ablesen, was ich von ihrem Produkt hielte.
»Ja, ich hab’s mal von einer Freundin gekriegt. Die Wirkung war nicht schlecht. Aber daß man auf einen Schlag schön, schlank und gesund wird, ist doch ein bißchen übertrieben.«
»Die Werbung neigt zu Übertreibungen«, räumte sie höflich ein. »Aber es freut mich, daß Sie schon gute Erfahrungen mit ›Beautyline‹ gemacht haben. Um so leichter wird es Ihnen fallen, unser Produkt überzeugend zu vertreten.«
»Was ist da eigentlich genau drin?« fragte ich neugierig.
»Nun, es handelt sich um eine Wirkstoffkombination, die fettabbauend, entgiftend und stoffwechselfördernd wirkt. In erster Linie sind es Vitamine und Mineralien, aber auch ausgewählte Enzyme, die den
Regenerationsprozeß beschleunigen. Es handelt sich um ein völlig natürliches Produkt, dessen Wirkung wissenschaftlich erwiesen ist und das von Millionen Frauen verwendet wird«, rasselte sie herunter.
Das war wohl einer der Sprüche, die man draufhaben mußte, wenn man eine überzeugende »Beautyline«-Vertreterin sein wollte.
»Und wieso ist das Zeug so teuer?«
Sie sah mich irritiert an. Auf solche Fragen war sie offenbar nicht vorbereitet.
»Die Wirkung rechtfertigt den Preis«, antwortete sie streng. »Hier in Deutschland können wir die Dose für rund sechzig Mark anbieten, das ist sicher ein angemessener Preis.«
Wow! Das war ja weniger als die Hälfte des amerikanischen Preises! Hundertfünfzig Mark hatte Doro in Amerika für eine Dose bezahlt. Das war ja
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