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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Außerdem stand er aus unerfindlichen Gründen einfach auf mich. Immer wieder war ich überrascht, daß er meinen Körper den glatten, unverbrauchten Körpern seiner Altersgenossinnen vorzog.
    Rilke hatte seine Lesung beendet, die Leute klatschten, die Band spielte eine schräge Melodie. Wieder wurden Schilder hochgehalten, er bekam eine respektable Gesamtnote von neun und einen spontanen Extraapplaus vom Publikum.
    Lächelnd kam Rilke auf mich zu. Ich hatte mir gewünscht, ohne seine ganze Clique hierherzukommen, und er hatte mir den Gefallen getan. Ich war erfüllt von Zärtlichkeit und Stolz.
    Bevor er mich erreicht hatte, rumpelte hinter mir ein Stuhl, das Mädchen mit der Lederjacke sprang auf und drängte sich an mir vorbei. Sie umfaßte Rilkes Hände und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange.
    »Ich finde so toll, was du schreibst. Ich schreibe auch, weißt du. Könnten wir uns nicht mal treffen?«
    Rilke war offenkundig geschmeichelt. Er kritzelte seine Telefonnummer, nein, unsere Telefonnummer, auf einen Bierdeckel. Beglückt zog das Mädchen ab.
    »Du hast ja richtige Fans«, stellte ich mit gezwungenem Lächeln fest.
    »Das passiert immer wieder bei Lesungen und Konzerten, daß Mädels was in einen hineinphantasieren«, meinte er wegwerfend. »Ich nehm das nicht ernst.«
    Er setzte sich neben mich, und wir hörten weiter zu. Ich war nicht bei der Sache.
    Plötzlich gab es Unruhe. Der schmächtige Japaner, der gerade zu lesen angesetzt hatte, brach verwirrt ab. Ein Typ in meinem Alter mit sich lichtendem, dunkelgelocktem Haar, modischer Brille und viel zu schickem Anzug hatte den Keller betreten. Die Leute drehten die Köpfe und fingen an zu tuscheln.
    »Das ist ja Marian Pakleppa, der Kritiker«, flüsterte Pulke mir aufgeregt zu. »Es gibt keinen Autor hier, der sich nicht wünscht, mal von ihm verrissen zu werden.«
    »Verstehe ich nicht«, flüsterte ich zurück.
    »Ein Verriß von Pakleppa ist mehr wert als eine Hymne von jedem anderen Kritiker. Aber mit Anfängern wie uns gibt der sich überhaupt nicht ab.«
    »Warum ist er dann hier?«
    »Vielleicht will er ein Mädel abschleppen. Angeblich steht er auf junges Gemüse.«
    Der berühmte Kritiker sah sich herausfordernd um. Er schien die Aufregung zu genießen, die sein Erscheinen unter dem jugendlichen Publikum ausgelöst hatte. Er ließ sich auf einen hölzernen Klappstuhl sinken und machte eine auffordernde Handbewegung Richtung Bühne. Der verschreckte Japaner nahm stotternd seinen Vortrag wieder auf.

    Die Veranstaltung war noch längst nicht vorbei, als Rilke und ich den Keller verließen. Interessiert sahen wir uns im Eingangsbereich der verlassenen Villa um.
    Man sah die Reste vergangener Pracht; üppigen Stuck und weiß-goldene Täfelungen an den Wänden, einen Boden aus rosafarbenem Marmor. Irgendein Neureicher hatte das Haus bewohnt und wurde es nicht mehr los, vermutlich, weil es unbezahlbar war. Hier und da vermietete er Teile für Parties oder Lesungen.
    Eine Absperrung vor der breiten Treppe, die nach oben führte, sollte Neugierige abhalten. »Betreten verboten« stand in großen Buchstaben auf einem Schild.
    »Gehen wir«, sagte ich und wollte Rilke zum Ausgang ziehen. Der starrte fasziniert die Treppe hoch, wo ein gigantischer Kristallüster im Halbdunkel geheimnisvoll schimmerte.

    »Möchte wissen, wie’s da oben aussieht«, murmelte er.
    In Sekundenschnelle hatten wir die Absperrung aus Holzlatten überwunden und schlichen Hand in Hand die Treppe hoch. Ein angenehmes Kribbeln erfaßte mich. Ich war es nicht gewohnt, Verbotenes zu tun.
    Wir öffneten eine Tür nach der anderen und staunten über die riesigen, leeren Räume. Durch die hohen Fenster fiel Mondlicht, was die Stimmung noch unwirklicher machte, fast wie auf einer leeren Bühne. Jeden Moment erwartete man kostümierte Gestalten, die durch eine Tür hereinquellen und eine dekadente Endzeitparty entfesseln würden.
    Der schönste Raum sah aus wie ein venezianischer Salon, mit rot marmorierten Wänden und dunklem Eichenparkett, das von goldglänzenden Metallintarsien durchzogen war. Hier standen, unter einer Abdeckung aufeinandergestapelt, einige Möbelstücke.
    Neugierig spähte Rilke unter die Plastikplane. Ich wanderte weiter, erreichte ein Ankleidezimmer und ein Bad, wie ich es nur aus Filmen kannte. Eine runde Badewanne war in der Mitte des Raumes in den Boden eingelassen; die Wände waren weiß, türkis und goldfarben gefliest. Über den zwei Waschtischen prangte ein

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