Am Anfang war die Nacht Musik
gedauert, bis zu seiner Einsicht, dass die Blitze mit dem Sehennichts zu tun hatten. Die Blitze kamen nicht von außen!, sagt sie. Sie kamen mitten aus meinem Kopf. Grässlich, sagt sie.
Nach acht Wochen Eiter und Gestank und unerträglichen Schmerzen entfernte Dr. Störck das Pflaster endlich. Sie, ungeheilt, aber wie neugeboren. Einfach froh, die Tortur los zu sein. Sie habe ja nicht ahnen können, was noch kommt …
Sie bricht ab.
Weiter, sagt er.
Wie warm seine Hände vom Streichen geworden sind. Und wie weich und leicht sie sich anfühlen. Wie die langen Flossen mancher Fische.
Dr. Störck habe etwas auf ihrem Kopf befestigt.
Was, will er wissen.
Eine Maschine, sagt sie. Eine elektrische. Seine neueste Erfindung …
Er unterbricht sie: Ob Störck das behaupte?
Was?
Dass er die Maschine erfunden habe.
Sie sei nicht sicher, sagt sie.
Sie solle sich bitte genau erinnern, sagt er. Das sei wichtig.
Es könne auch ihr Vater gewesen sein. Sie wisse es nicht mehr. Aus dieser Zeit sei nichts geblieben als das Gefühl eines verbrennenden Schmerzes. Ein Schmerzklumpen, der von ihren Augen aus durch den ganzen Körper rollt. Sich dann verflüssigt und einen schweren See bildet.
Wo, sagt er, sie solle ihm die Stelle zeigen.
Hier.
Sie zeigt auf ihre Brust, verstummt, sinkt in sich zusammen.
Weiter, sagt er. Weiter, reden Sie.
Erst habe er gesagt, werde er Funken aus ihr herauslocken. Und schade, dass sie die nicht sehen könne, diese wundervoll leuchtenden Funken. Sie habe sie aber gehört, sagt sie. Und das habe ihr gereicht. Einen schlimmeren Ton könne sie sich nicht vorstellen als dieses Knistern. Die Funken brachten offenbar nichts, sagt sie, da habe er ihr Stöße versetzt.
Sie habe versucht, sich einzureden, dass Schmerzen nicht umsonst seien. So starke Schmerzen müssen einen Sinn haben. Eine Wirkung. Nicht irgendeiner habe sie ihr verordnet, sondern Doktor von Störck. Leibarzt der Kaiserin! Studierter, kluger Mann … Der eine so ungewöhnliche Erfindung gemacht habe …
Mesmer unterbricht erneut. In scharfem Ton.
Herr von Störck hat die Elektrisiermaschine nicht erfunden! Wenn er das behauptet, ist er ein …
Ja?
… Lügner …
Das, sagt sie, werde sie sich jetzt merken.
Alle seien überzeugt gewesen, dass sie bald sehen werde. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Kopfschmerzen und der Druck auf die Augen wurden unerträglich.
Wenn sie mit den Händen über ihre Augen strich, habe sie gedacht, sie sei im kaiserlichen Tiergarten und streichle die Panzerschildkröten der Kaiserin, so hart und geballt waren die Augen. Und waren kaum noch zu schließen. Die Lider dreimal so dick wie sonst. Und das Augeninnere trocken, entzündet. Und der Kopf eine Wüste.
Die aus der Heiligen Schrift. Aus der ihr der Vater jeden Abend vorgelesen habe. Je schlechter es ihr ging, destonötiger wurde Gottes Wort. Und wie alle sich vor ihr ekelten. Keiner hat mich sehen wollen. Keiner habe sie hören wollen. Alle hätten nur auf den Doktor gehört. Der ihren Zustand als Erstverschlimmerung gedeutet habe.
Dass sie den Respekt verloren hat vor diesem Herrn von Störck, erzählt sie nicht. Auch nicht, dass sie sich mitunter so sehr vor ihm fürchtete, dass sie sich weigerte, in die Kutsche einzusteigen, die sie zu ihm bringen sollte. Seine Ideen machten ihr Angst.
Angst, aber Hoffnung.
Aber irgendwann wünschte sie nur noch, er möge erkennen, wie sinnlos seine Therapie war. Sie wünschte umsonst. Dr. von Störck erkannte nichts.
Er habe ihr immer wieder dieses Ding auf den Kopf geschnallt. Auf die geschwollenen Augen. Bei jedem Stromstoß ein Hagel aus Blitzen und Funken. Und höllischen Schmerzen. Immer mehr Stromstöße direkt hintereinander.
Wie viele? Mesmer ist froh, dass sie redet.
Weiß nicht, sagt sie. Einmal habe sie bis hundert gezählt. Weiter nicht. Nie im Leben habe sie so weit in den Schmerz hineingezählt. Sie schluchzt. Bekommt sekundenlang keine Luft mehr. Vielleicht sollte er diese erste Sitzung abbrechen. Aber eine letzte Frage brennt ihm auf der Zunge.
Ob die Kaiserin davon wisse?
Die Kaiserin wisse alles, was sie wissen wolle, sagt sie. Ob er glaube, dass die Kaiserin davon wissen sollte?
Oh ja, sagt er, auf jeden Fall sollte sie es erfahren.
Warum er das meine.
Er stutzt. Mit dieser Frage hat er nicht gerechnet.
Ob sie denn eigentlich sehen wolle?
Sie erstarrt, sagt, sie werde ihm antworten, auch wenn er mit seiner Frage die ihre fortgespült habe. Natürlich wolle sie gern
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