Am Anfang war die Nacht Musik
Magenkrämpfen insBett gelegt und sei zwei Wochen nicht mehr hochgekommen. Habe vor sich hingedämmert. Konnte nichts essen und bekam keine Regel mehr. Dafür schreckliche eitergefüllte Beulen. Den ganzen Rücken hinab. Sie konnte nur auf dem Bauch liegen. Bedingt auf der Seite. In ihren Ohren ein Geklingel, als sitze sie Tag und Nacht an der Orgel. Sie habe schon gedacht, das sei die Strafe dafür, dass sie mitunter heimlich Orgel gespielt habe. Gegen den Willen des Vaters, der sage, Orgel sei kein Instrument für ein Mädchen. Es schicke sich nicht … Wegen der hin und her tretenden Beine hat er es verboten. Aber sie habe das Orgeln so gern. Kenne kaum ein Instrument von solcher Kraft. Da habe sie heimlich gespielt, manchmal … Der Vater habe ihr dann auch verboten, die Arznei ein zweites Mal einzunehmen.
Die Ohren brauche sie schließlich für ihren Beruf. Daraufhin habe Dr. Störck Blutegel eingesetzt. Die hätten sie zwar nicht geheilt, aber das Geklingel im Ohr sei verschwunden. Die Regel wieder aufgetaucht. Mit den medizinischen Würmern sei sie Freund. Wie mit den Kräutern.
Sie erschauert.
Die kalte glitschige Wurmhaut sei anfangs ungewohnt gewesen. Und wie die Egel auf ihrem Bauch herumkrochen, eh sie zubissen. Sie habe bald einen Wurm vom andern unterscheiden können. Sie habe sie in ihren feuchten heißen Händen gehalten wie kühle Handschmeichler.
Keiner fühlt sich an wie der andere, sagt sie. Einer größer, der andre dicker. Einer lebhaft, einer faul. Und die Gier beim Ansetzen. Immer hungrig. Was nicht heiße, dass sie gleich beißen. Manche lassen sich Zeit. Vor allem vor einem Gewitterwollen sie nicht beißen. Als fürchteten sie sich bei Donner und Blitz vor Blut. Dann habe Dr. Störck sie in kleine Glasröhrlein gesteckt, dazu ein Stückchen Zwiebel auf ihren Leib gelegt. Dann habe er einen Löffel Zucker in Milch gelöst. Damit Marias Leib bestrichen. Und kaum brachte er die Glasröhrlein mit der offenen Seite an ihre Haut, bissen die Egel. Sie können der Zuckermilch nicht widerstehen. Da sind sie wie wir alle.
Am liebsten hätte sie Dr. Störcks Egel mit nach Hause genommen. Allein die Mutter habe es nicht erlaubt. Kein Egel Dr. Störcks, den sie nicht kenne. Auch die, die nicht anbissen. Sie habe ihnen Namen gegeben. Sie in Männlein und Weiblein unterschieden. Habe, sagt sie, mit ihnen gespielt. Wie mit Puppen … Wenn ihre Freundinnen das wüssten! Dass sie mit Egeln spielt! Sie brauche die Würmer nur zu erwähnen, da nähmen die Freundinnen Reißaus. Und tauchten wochenlang nicht mehr auf. Dann locke sie sie mit einem Brief, einer Einladung zur Zuckermilch.
Wissen Sie, ich sammle Freundschaften, sagt sie. So wie er Bücher oder Medizinkram sammle. Ob er sich vorstellen könne, wie langweilig das Leben ohne ihre Freundinnen sei. Und ohne Würmer.
Wo Dr. von Störck ihr die Egel angesetzt habe, will Mesmer wissen.
Direkt hinter den Ohren. Und hier und hier.
Sie zeigt auf Schläfen und Brust, Bauch.
Und dann.
Dann nichts.
Er wartet. Hebt erneut die Arme. Verweilt über ihrem Kopf. Streicht langsam abwärts.
Nichts? Was heißt nichts?
Nichts heiße, sie erinnere sich nicht.
Das glaube sie nur, sagt er.
Sie glaube, sagt sie, dass danach etwas sehr Schlimmes passiert sei.
Schlimm?, sagt er.
Sie überlegt. Fließlöchlein . Davon habe Dr. Störck öfter gesprochen. Die genaue Bedeutung sei ihr nicht offensichtlich. Sie lacht. Er habe ihren Kopf geschoren und mit einem Zugpflaster abgedeckt. Sie habe geglaubt, der Kopf zerspringe. Der ganze Schädel pochte und eiterte. Das Schlimmste – keiner habe mehr mit ihr im Zimmer sein wollen. Die Freundinnen führten ihre Ekel-Laute in die oberen Register und seien dann ausgeblieben wie die ausgebliebene Regel. Und nicht einmal eine Einladung zur Zuckermilch habe geholfen.
Alle hätten gesagt, in ihrer Anwesenheit stinke es entsetzlicher als draußen in der Gosse. Nur sie habe nichts gerochen.
Meine Nase, sagt sie, die Nase funktioniert nicht.
Ob das immer schon so gewesen sei? Ob sie sich an einen Geruch erinnern könne?
Nein. An keinen. Geruch sei ihr ein Rätsel.
Das Pflaster auf dem Kopf verstärkte die Zuckungen am ganzen Leib. Und die Augen wölbten sich nach außen. Das fühlte sich an, als werde ihr der Kopf langsam zerquetscht. Und dann, sagt sie, fingen die Blitze an. Dr. Störck hielt sie für die zurückkehrende Sehkraft. Er bestand darauf. Lobte das Pflaster.
Sie habe ihn angefleht, es abzunehmen. Aber es habe
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