Am Anfang war die Nacht Musik
Haut.
Ob sie also jeden Tag so herumlaufe.
Ja.
Ja?, sagt er. Ja?
Ja. Oder was er meine. Wie laufe sie denn herum?
Mit Riesengarderobe und Perücke.
Der Haarturm wiegt leise von rechts nach links.
Wie bitte?, sagt er.
Nein, sagt sie.
Er wartet eine Weile, dann hebt er die Hände erneut. Hält sie, bis sie schwer werden, und streicht abwärts durch die Luft, ohne das Mädchen zu berühren.
Die schöne Frisur, beginnt sie, trage sie für ihn. Auf Empfehlung ihrer Mutter. Die schöne Frisur sei eine Höflichkeit. So wie wenn man bitte sage und danke. Normalerweise, zu Hause, trage sie, wenn kein Besuch da sei, ein Seidentuch um den Kopf.
Er wundre sich, sagt er, dass es ihr nicht lästig sei, ständig mit Kopfbedeckung herumzulaufen. Ein Mädchen in ihrem Alter … ein Fräulein, korrigiert er sich, könne doch ihr Haar zeigen …
Sie habe bestimmt schönes, dichtes Haar. Bestimmt eher dunkel …
Dunkel, ja, sagt sie. Brünett mit leichtem Rotstich. Kupfer.
So sehen sie aus. Die vornehmen Mädchen aus Wien, denkt er. Dunkelblaue Augen, Kupferhaar und Haut wie weiße Seide vor einem Hintergrund aus kaltem Blau … Dabei die Fäuste geballt, denkt er mit einem Blick auf ihre Hände.
Das Tuch trage sie um den Kopf, um sich nicht zu erkälten, sagt sie. Sie sei sehr empfindlich. Gegen alles. Besonders gegen Zugluft.
Ihre linke Schulter beginnt zu zucken, als sie sagt, im Rüssel ziehe es wie in keinem Schneehaus. Da ihre Eltern jedoch häufig Besuch bekämen, trage sie häufig die Perücke. Der feste Stoff der Haube plus die vielen Haare darauf seien ein Bollwerk gegen die Zugluft. Wenn möglich, sagt sie. Wenn ich nicht zu krank bin, trage ich sie.
Zu krank?, sagt er. Zu krank für eine Perücke?
Zu schwach, sagt sie. Manchmal sei sie so schwach.
Aha, sagt er und spürt, wie seine Arme lahm werden. Zitternd der Schwerkraft trotzen. Unaufhaltbar sinken. Der Perücke entgegen.
Da jetzt keine Gäste hier seien, sagt er schnell, werde er die Frisur jetzt herunternehmen.
Sie hebt schützend die Arme. Nicht nötig.
Sein rechter Bizeps brennt, zieht sich zusammen, er streckt ihn, um keinen Krampf zu bekommen.
Doch, sagt er streng. Sei es.
Wie Sie wünschen. Sie klingt wie ein Automat.
Nein. Nicht wie er wünsche. Sie solle es für sich tun, sagt er ungerührt. Für sonst keinen. Sprechen Sie, los. Zeigen Sie mir, wo die Nadeln sitzen.
Mit dem Finger weist sie ihm die Stellen, und erleichtert zieht er eine nach der andern heraus und legt sie auf dem Tisch ab. Bei jeder Berührung rieselt weißer Puder aus dem kunstvoll verknoteten Ganzen. Haarteil für Haarteil hebt er herunter, löst einzelne Locken und legt sie neben die Nadeln. Kruzitürken, hat sie denn mehr separate Locken als ein normaler Mensch einzelne Haare auf dem Kopf ? Zuletzt hebt er die Basis der Pracht, die Haube, die mit der untersten Haarschicht fest verbunden ist, an.
Einen Moment lang starrt er auf ihren Kopf. Kann nichts sagen. Sieht, wie ein Zucken ihre Schultern durchfährt.
Was mit ihrem Kopf los sei? Warum sie kahl geschoren sei?
Er wiederholt seine Fragen, und wiederholt sie ein zweites Mal.
Dr. von Störck. Mehr sagt sie nicht.
Woher die vielen Narben stammten.
Dr. von Störck hat meinen Kopf geschoren.
Erzählen Sie.
Seine Hände streichen an ihrem Körper entlang. In der angemessenen Höhe sind sie federleicht. So, wie sie sein müssen, um etwas ins Strömen zu bringen. Das Fluidum ist bei dem Fräulein ins Stocken geraten. Er wird es notieren.
Dr. von Störck, sagt sie, habe eine Heilung versucht. Er habe alles Mögliche versucht.
Was zum Beispiel?
Arzneien.
Welche?
Schwarze Küchenschelle zu Anfang und Baldrianwurzel.
Sie lacht plötzlich.
Baldrian. Wie das schon klingt. Wie Schlendrian. Mache sie manchmal so ruhig und faul wie einen Schlendrian. Sie habe diese Kräuter lieb gewonnen, lacht sie und wirkt dabei, als weine sie gleich.
Im Vergleich zu den Arzneien, die folgten. Deren Namen habe sie nicht behalten. Nur, dass von Quecksilber die Rede war. Und von Schwefel. Daran erinnere sie sich. Weil sie befürchtete, wo Schwefel im Spiel sei, sei der Teufel nicht weit. Aber Dr. Störck habe gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen. Schade, dass sie das Pulver nicht sehen könne. Es sei schneeweiß. Rein wie ein himmlischer Engel. Er habe dieses himmlische Pulver in Wasser gelöst und ihr zu trinken gegeben. Danach sei sie umgekippt. Und habe sich alle zwei Stunden übergeben müssen. Sie habe sich mit
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