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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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hat? Einer hat es irgendwem erzählt, der es wieder jemand anderem erzählt hat. Woher wusste denn jeder, dass es der Rabbi war, der den Selzer-Jungen freibekommen hat? Jeder wusste es, und niemand hat es bestritten. Jawohl, und genauso wussten eben alle, dass er Fine belastet hat.»
    «Na und? Wenn Fine schuldig ist, und der Rabbi es zufällig gewusst hat, muss er es dann nicht sagen? Ist das nicht die Pflicht eines guten Bürgers?»
    «Mike, wie kannst du so reden? Ein Rabbi soll sich doch nicht wie ein normaler Bürger benehmen. Rabbiner und Priester und solche Leute brauchen nicht mal vor Gericht zu erscheinen. Ich meine, man kann sie nicht zu Zeugenaussagen zwingen. Das nennt man religiöse Freiheit. Und im Übrigen: Wenn der Rabbi es nicht gewesen ist, warum sagt er es denn nicht?»
    «Ja, das ist ein Argument.»
    «Das meine ich doch. Selma Rosencranz ist eine meiner besten Freundinnen; sie hat es angeregt, und wir haben alle zugestimmt. Es tut mir auch nicht Leid.»
    Voll widerwilliger Bewunderung schüttelte er den Kopf. «Ich muss ja zugeben, diese Selma hat Mumm. Aber trotzdem, es war ein starkes Stück, einfach aufzustehen und rauszugehen.»
     
    «Also, was mich betrifft: dieser Fine ist ein frecher Hund. Edie mag ich gern, aber ihr Mann …»
    «Du kennst ihn doch kaum.»
    «Ich kenne ihn gut genug. Der große Professor! Weißt du noch, die politische Debatte, die wir damals bei Al Kaufman hatten, und wie er da über mich hergefallen ist? Ich hab ihn für einen Radikalen gehalten, wenn nicht für einen Roten. Und wenn man gegen seine Reden Einwände machte, hat er so getan, als wäre man ein Idiot. Natürlich sehr höflich, und mit feinen, hochtrabenden Ausdrücken, aber jeder, der nicht mit ihm übereinstimmte, bekam sein Fett ab. Na ja, nachdem ich sein kommunistisches Gerede gehört hab, kann ich mir denken, dass er zu so was fähig wäre. Weißt du, für die ist das ja kein Mord, die liquidieren nur.»
    «Nun glaub mir doch, du siehst das ganz falsch.»
    «Tu ich das? Schön, wenn du meine Meinung hören willst: Wenn der Rabbi ihn verpfiffen hat, dann wusste er warum, und dieser Widerling Fine ist unter Garantie schuldig.»
     
    «Benimmt sich so eine jüdische Frau? Im ersten Augenblick begriff ich gar nicht, was los war. Ich dachte, vielleicht ist einer von ihnen schlecht geworden. Ich schätze, der Rabbi hat es im ersten Augenblick ebenso wenig begriffen, aber dann musste ihm ja ein Licht aufgehen. Ich hätte es ihm wirklich nicht verübelt, wenn er dann wütend geworden wäre. Glaub mir, ich an seiner Stelle hätte das mehr als krumm genommen. Jeder hätte das. Und ich hätte kein Blatt vor den Mund genommen, das kannst du mir glauben. Nicht aber der Rabbi. Der ist eiskalt geblieben. Er hat sogar gelächelt und einen Scherz gemacht. Er sagt, jeder geht nach der Predigt, aber was für Leute gehen schon vorher?»
    «Und was für einen Witz hat er gemacht?»
    «Das war er doch. Ich hab’s dir eben erzählt.»
    «Das war aber ein Witz!»
    «Na, in dem Moment hat’s sich komisch angehört, und alle haben gelacht. Hör mal, es geht nicht drum, ob der Witz komisch war oder nicht. Es geht darum, dass er in der Situation überhaupt in der Lage war, einen Witz zu machen.»
     
    Gladys Lanigan gab ihrem Mann das Glas mit dem Gin Tonic und mixte sich dann selbst einen. «Ich war heute Morgen im Shipshape auf eine Tasse Kaffee», sagte sie. «In der Nische nebenan haben sich zwei Frauen unterhalten. Ich hab sie ganz unfreiwillig belauscht.»
    «Du hast dich nicht zurückgelehnt und die Ohren gespitzt?», fragte Lanigan liebevoll.
    «Hab ich nicht!» Sie lachte. «Die haben nämlich so laut geredet, dass ich das gar nicht brauchte. Es scheint gestern Abend in der Synagoge Ärger gegeben zu haben. Eine Gruppe von Frauen ist aufgestanden und hinausgegangen, gerade als Rabbi Small mit seiner Predigt anfangen wollte.»
    «Ach? Warum denn das?»
    «Leider konnte ich mich nicht weit genug zurücklehnen, um das genau mitzubekommen. Es scheint so, dass diese Frauen mit den Fines befreundet sind. Weißt du, mit dem, der wegen der Windemere-Affäre verhaftet worden ist. Sie hatten die Idee, es wäre die Schuld des Rabbi. Weißt du was darüber, Hugh?»
    Er verneinte verwundert.
    «Warum machen Leute nur so was? Und der Rabbi ist doch so ein netter junger Mann.»
    «Vermutlich aus schierer Bösartigkeit.» Er schüttelte sehr philosophisch den Kopf. «Sie möchten ihn loswerden. Und weißt du, aus welchem Grund? Weil

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