Am Dienstag sah der Rabbi rot
nicht so viele Leute mit dem Namen Bradford Ames geben, nicht mal in Boston.»
Ames schien sich über seinen Anruf zu freuen. «Ich würde mich sehr gern mit Ihnen treffen, Rabbi. Und ausgerechnet morgen komme ich in Ihre Gegend, um unser Haus für den Winter dicht zu machen. Wissen Sie, wo es ist? … Fein, dann erwarte ich Sie irgendwann am späteren Vormittag.»
45
Das Ames-Haus lag am Point, einem felsigen Landfinger, der in die Hafeneinfahrt zeigte. Es war ein großes weißes Holzhaus, rundherum von einer breiten Veranda umgeben. Auf der Hafenseite überragte es die Flutmauer. Bei Hochwasser lag es über dem Meer und gab einem das Gefühl, an Bord eines Schiffes zu sein. Es war ein warmer Altweibersommertag, und Bradford Ames genoss das schöne Wetter in einem großen Korbsessel auf der Veranda. Als der Rabbi kam, rief er: «Kommen Sie gleich herauf, Rabbi. Ich dachte, wir sollten uns in die Sonne setzen, solange sie noch so schön scheint.»
David Small trat ans Geländer und blickte in das Wasser unter ihm. «Schön», sagte er, «sehr schön.» Er atmete tief die salzige Luft ein.
«Ich bin immer ein bisschen traurig, wenn es wieder Zeit wird, das alte Haus für den Winter zuzumachen. Ich suche mir extra einen schönen Tag dafür aus, und wenn ich fertig bin, sitze ich noch ein wenig draußen, nehme vom Meer Abschied und trinke ein Glas, ehe ich wieder in die Stadt zurückfahre.» Er deutete auf eine Flasche. «Kann ich Ihnen was anbieten, Rabbi? Sie sind doch kein Abstinenzler, oder?»
«O nein, das sind wir nicht.»
Ames schenkte ein. Als sie beide in den tiefen Korbsesseln saßen, tranken sie sich stumm zu. «Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich für Roger Fine interessieren», stellte Ames endlich fest. «Er ist doch wohl Mitglied Ihrer Gemeinde?»
«Nein, aber er gehört zu den jüdischen Bürgern von Barnard’s Crossing. Und als einziger Rabbi am Ort …»
«Fühlen Sie sich verantwortlich.» Ames kicherte. «Und als der einzige Rabbi unter den Lehrern des Windemere College können Sie sich für jedes jüdische Mitglied gleichermaßen verantwortlich fühlen, ja?»
«Das war mir noch gar nicht aufgegangen», gestand der Rabbi, «aber da Sie es jetzt erwähnt haben …»
Ames rutschte im Stuhl nach hinten. «Gut, ich spreche sehr gern mit Ihnen über Fine, Rabbi. Ich glaube auch, ich bin es Ihnen schuldig, nachdem Sie für mich die Kastanien aus dem Feuer geholt haben, als Sie dafür sorgten, dass die Studenten einen Antrag auf Kaution stellten.» Er war so weit im Stuhl heruntergerutscht, dass sein runder Kopf gerade noch in Höhe der Tischplatte war. «Ich erwähne das, Rabbi, um anzudeuten, dass es mir nicht um Verurteilungen nur um der Verurteilung willen geht.»
«Das ist klar.»
«Ich werde Ihnen sagen, was wir gegen Fine haben. Ich will Ihnen den Fall darlegen. Ich lege alle unsere Karten offen auf den Tisch.» Er drehte den Kopf so weit herum, dass er zum Rabbi aufblicken konnte. «Und nun fragen Sie mich, warum ich das tun will.»
Der Rabbi grinste. «Schön. Warum wollen Sie das tun?»
«Weil ich dem jungen Mann helfen möchte, oh, ich hab eine Menge Belastungsmaterial, und ich werde meinen Schuldspruch bekommen. Aber das Strafmaß, das ist ein anderer Fall. Das kann von hier bis dort reichen.» Er hielt die Zeigefinger dicht nebeneinander und breitete dann die Arme immer weiter aus.
«Das heißt, Sie möchten, dass ich Professor Fine beeinflusse, ein Geständnis abzulegen?»
«Das könnte sehr gut sein – gut für ihn», sagte Ames, «wenn Sie es fertig brächten. Ach, das ist übrigens kein Vorschlag unter der Hand. Ich habe darüber mit seinem Anwalt, Jerry Winston, gesprochen.»
«Und?»
Ames richtete sich wieder zu voller Höhe auf. «Es ist eine Art Spiel von uns, Rabbi. Vor Gericht sind wir höflich-kühl. Ich meine, der Assistant District Attorney und die Strafverteidiger. Wir sind auch nicht darüber erhaben, gemeine juristische Tricks anzuwenden oder uns anzupöbeln. Aber außerhalb des Gerichts stehen wir sehr gut miteinander. Was wieder nicht bedeutet, dass Winston nicht mit aller Kraft für seinen Klienten kämpft, wie ich für den Staat kämpfe. Wir sind Profis, verstehen Sie. Aber einen großen Unterschied gibt es. Winston kämpft mit Klauen und Zähnen für einen Freispruch, aber ich kämpfe nur dann für seine Verurteilung, wenn ich von der Schuld des Mannes überzeugt bin. Obwohl er der Ankläger ist, ist es auch Aufgabe des District Attorney, die
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