Am Dienstag sah der Rabbi rot
schon», sagte sie endlich.
«Vielleicht, aber ich habe bisher keine Möglichkeit gehabt, Vergleiche ziehen zu können.»
Sie sah ihn groß an. «Meinst du, weil du jetzt Unterricht gibst?»
«Das könnte was damit zu tun haben», gab er zu. «Ich bin mit meiner Klasse am College keineswegs zufrieden, aber wenigstens habe ich das Gefühl, dort etwas zu tun, was sich lohnt. Hier bin ich dessen nicht so sicher. Diese Frauen», er drehte sich zu ihr um, «kennst du die alle? Mir kamen ein paar bekannt vor, aber es waren auch welche da, die ich bestimmt nie zuvor gesehen habe.»
«Es war Selma Rosencranz mit ihren Bridge-Freundinnen», erklärte Miriam bedrückt.
«Ach, ich wusste gar nicht, dass sie sich für Religion interessieren. Sie haben eine etwas theatralische Art gewählt, ihre Meinung über den Freitagabend-Gottesdienst kundzutun, oder vielleicht auch über mich, denn sie sind in dem Augenblick gegangen, als ich mit der Predigt anfangen wollte.»
«Aber, David!», rief Miriam. «Denen ist der Gottesdienst genauso schnurz wie deine Predigt.»
«Aber sie –», er brach ab. «Gibt es was, Miriam, was du weißt, und was ich nicht weiß?»
«Ja. Selma ist eine gute Freundin von Edie Fine, und es geht das Gerücht um – ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das ernst nehmen kann! –, dass du den jungen Selzer freibekommen hast, indem du die Polizei auf Roger Fine als viel geeigneteren Verdächtigen aufmerksam gemacht hast.»
«Nein!»
Sie nickte stumm.
Und jetzt war er ärgerlich. Sie merkte es an seinen raschen, weit ausholenden Schritten. Sie musste fast laufen, um auf einer Höhe mit ihm zu bleiben.
43
«Was hast du dir denn da für einen Blödsinn ausgedacht?», fragte Sumner Rosencranz. «Was bist du, eine Art Hippie? Warum trägst du dann kein Plakat mit dir rum und boykottierst die Synagoge? Was wirft das für ein Licht auf mich, wenn meine Frau mitten im Gottesdienst aufsteht und den Rabbi sitzen lässt?»
«Ich dachte, du hältst nichts von ihm», sagte Selma kühl.
«Was hat das denn damit zu tun? Es gibt ’ne Menge Leute, von denen ich nichts halte; gehe ich deswegen herum und beleidige sie in aller Öffentlichkeit? Auf deine alte Dame bin ich auch nicht gerade scharf–»
«Und lässt es dir deutlich anmerken. Du zeigst es ihr jedes, aber auch jedes Mal, wenn sie zu uns kommt.»
«Verdammt nochmal, ich hab kein einziges Wort zu ihr gesagt, das ein vernünftiger Mensch für beleidigend halten könnte.»
«Ach, ist das so? Wie war das denn, als sie dir das Hemd zum Geburtstag geschenkt hat? Und was war, als sie dich gebeten hat, ihr aus dem Drugstore die Schönheits-Lotion zu holen?»
«Jetzt wart mal einen Moment. Einen Moment, ja? Das hab ich schon dutzendmal erklärt. Ich habe nur gesagt, es würde doch nichts nützen. Diese teuren Wässerchen sind nichts als aufgelegter Schwindel; sie nützen niemand was, und sie könnte ihr Geld für was Besseres ausgeben. Mehr hab ich nicht gemeint. Und was das Hemd betrifft, da hab ich nur gesagt … also, ich hab nur was an dem Hemd auszusetzen gehabt. Das ist keine Beleidigung deiner Mutter. Und wie behandelst du eigentlich meine Mutter, wenn sie zu Besuch kommt?»
«Hör mal», sagte Selma, «deine Mutter behandle ich genauso, wie sie mich behandelt. Wenn sie als Gast zu uns kommen will, ist sie herzlich willkommen. Aber ein Gast inspiziert nicht heimlich den Kühlschrank und macht auch keine anzüglichen Bemerkungen über meine Freundinnen. Meine Freundinnen gehen nur mich was an, und ich halte zu ihnen. Edie Fine ist seit Jahren meine beste Freundin. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, und wenn jemand sagt, sie wäre mit einem Mörder verheiratet und, was noch schlimmer ist, auch zur Polizei geht und ihn dort als Mörder angibt, wo sie gerade ein Kind bekommt und ruhig leben und sich nicht aufregen soll, dann ist es mir piepegal, ob er der Rabbiner an unserer Synagoge oder der Chef-Rabbiner von Israel ist. Dann zeig ich ihm, was ich von ihm halte, egal wer alles das mitbekommt.»
«Woher weißt du das, Clare? Wie willst du wissen, ob der Rabbi diesen Fine bei der Polizei verpfiffen hat?»
«Aber, Mike, das ist bekannt. Alle wissen es.»
«Und woher wissen sie es?», fragte er beharrlich weiter. «Wer hat es dir zum Beispiel erzählt?»
«Richtig erzählt hat es mir niemand. Ich meine, nicht eine bestimmte Person, die mir jetzt einfällt. Wir haben zusammengesessen und geredet. Woher weißt du, dass Kolumbus Amerika entdeckt
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