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Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Titel: Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Mengel
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die Landstraße. Sie führte quer hindurch. Auf der anderen Seite verschwand sie in den Feldern und Wiesen, die Lesancé umgaben. Ein Stück entfernt lag ein Wäldchen.
    Die Dämmerung legte sich über den Ort, doch Susanna verspürte keine Lust, zurückzukehren. Sie folgte einer Gasse, die noch enger als die übrigen Straßen zu sein schien. Der Weg führte geradewegs zu einem Bauernhof. Aus den Stallungen klang das Muhen von Kühen. Ein Misthaufen stank penetrant. Susanna hielt sich die Nase zu. Hier ging es nicht weiter, sie machte kehrt und sah sich unvermutet einem Kind gegenüber.
    Ein Mädchen. Es bot einen dermaßen bizarren Anblick, dass Susanna lachen musste. Die Füße steckten in viel zu großen Gummistiefeln. Das Kleid war völlig verdreckt. Im Gesicht des Kindes klebte ein Batzen Kuhdung.
    „Wer bist du denn?“, fragte Susanna und beugte sich zu der Kleinen herab.
    Das Mädchen riss die Augen auf und starrte Susanna an.
    „Du musst keine Angst haben, ich tue dir nichts. Ich wollte gerade gehen“, erklärte Susanna. Die Kleine reagierte nicht. Vielleicht verstand sie nur Flämisch? Susanna lächelte. Mit den Fingern deutete sie gehende Beine an und wies in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    Sie erhob sich, um den Hof zu verlassen. Doch das Mädchen lief um sie herum und stellte sich ihr erneut in den Weg.
    „Was willst du? Es tut mir leid, ich spreche deine Sprache nicht.“
    Susanna wollte das Kind zur Seite schieben, doch es wehrte sich. Als Susanna stehen blieb, griff es nach Susannas Hand und zog sie in Richtung Kuhstall.
    Der Laufgang des Stalls lag im Dunkeln. Ein Stück entfernt hörte Susanna ein kratzendes Geräusch. Sie spähte in die Dunkelheit, doch erst als sie näher herankamen, entdeckte sie einen alten Mann, der mit einer Mistgabel Kuhfladen in eine Schubkarre schaufelte.
    Die Kleine zupfte an der Jacke des Mannes. Er blickte auf und sah Susanna an. Während er sie musterte, überzog eine tiefe Falte seine Stirn. Schließlich begann er, zu lächeln. Er bedeutete ihr, sich nicht von der Stelle zu rühren und verschwand durch den hinteren Ausgang des Stalls. Das Kind lief ihm nach.
    Einen Augenblick stand Susanna verwirrt da. Doch sie beruhigte sich bald. Wahrscheinlich wollte der Alte ihr einen Apfel schenken oder ein Glas Milch zum Probieren bringen.
    Es dauerte nicht lange, bis der Mann wiederkehrte, die Kleine im Schlepptau. Erneut zog das Mädchen Susanna hinter sich her. Es ging zurück in den Hof. Dort warteten etwa zwanzig Personen, die sich in einer Art Spalier aufgestellt hatten.
    Der alte Mann nahm Susanna bei den Schultern und schob sie an den Anfang des Spaliers. Freundlich lächelten ihr die Leute entgegen. Der Alte drängte sie vorwärts. Bisher hatte die Situation auf Susanna nicht bedrohlich gewirkt. Doch nun, da sie den ersten Schritt zwischen die Menschen tat, fühlte sie sich zunehmend unwohl. Die Leute drängten sich um sie. Susanna zog die Schultern bis zu den Ohren. Stimmen erhoben sich. Die Worte erkannte Susanna sofort.
    In der gleichen Sekunde ging ein Blütenregen nieder. Wütend schrie sie auf. Schon wieder. Nun also auch hier, in diesem abgelegenen Kaff? Sie schüttelte die Blütenblätter ab und rannte davon. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter, Tränen der Wut und zunehmend auch der Angst.
    Ohne zu beachten, wohin der Weg führte, rannte Susanna weiter. Sie durchquerte das Dorf, lief querfeldein über eine Wiese und gelangte schließlich zu dem Wäldchen am Ortsrand. Sie schlüpfte zwischen die Bäume. Stille umfing sie. Der weiche Waldboden dämpfte ihre Schritte. Kein Laut war zu hören. Selbst die Vögel schwiegen. Susanna blieb stehen. Ein abgestorbener Baum lag quer über dem Weg. Sie setzte sich hin und wartete, bis sie wieder zu Atem kam. Langsam versiegten ihre Tränen.
    „Susanna“, erklang plötzlich hinter ihr eine dunkle Stimme.
    Sie fuhr herum. Nur wenige Meter entfernt trat ein hochgewachsener Mann aus den Schatten des Waldes. Susanna reagierte instinktiv. Sie preschte davon. Sie rannte und rannte und blieb erst stehen, als sie Antoinettes Haus erreicht und das massive Tor hinter sich geschlossen hatte. Schwer atmend ließ sie sic h im Hof in einen Stuhl fallen.

8.                  Kis-Ba-Shahid
     
    D er nächste Tag begann mit düsterem Himmel und einer schlechten Nachricht. Susanna wollte gerade in ein Frühstücksbrötchen beißen, als Toni ihr eine Notiz zuschob. 12, Rue de la gare stand auf dem

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