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Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Titel: Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Mengel
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als der Krieg endlich zu Ende war, dauerte es mehrere Jahre, bis sich eine neue Generation der Grenzgänger ansiedelte.“
    „Aber warum kamen sie hierher?“, fragte Susanna. „Das Dorf ist doch ziemlich abgelegen.“
    „Genau das ist der Grund. So können wir in Ruhe unseren Ritualen nachgehen.“
    Ob dies ihr Stichwort war? Wenn sie es nun falsch anstellte? Andererseits - was hatte sie zu verlieren?
    „Sicher finden die Leute aus den Nachbardörfern es seltsam, wenn man sie mit Blütenblättern bewirft.“
    „Da hast du recht. Allerdings dauert die Anwartschaft nicht lange. Sie wird auch nur bei den Nachkommen unseres Volks zelebriert.“ Herr Moulin lächelte und legte Susanna eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Gedanken, Kind. Genieße die Zeit. Schon bald ist der Spaß vorbei und du erfährst deine Bestimmung.“ Er griff nach einem Schulbuch. „Nun“, sagte er, „wenden wir uns den Geheimnissen der Mathematik zu.“
    Als sie sich am späten Nachmittag verabschiedete, ging Susanna mit leichterem Herzen, als sie gekommen war. Im Hof traf sie auf Toni. Toni stand an der Staffelei und schwang einen Pinsel wie ein Dirigent seinen Taktstock. Susanna wollte zu ihr treten.
    „Ich brauche Ruhe, beschäftige dich allein.“ Toni machte eine abwehrende Handbewegung. „Drinnen, wenn ich bitten darf“, fügte sie hinzu, als sich Susanna einem Gartenstuhl näherte. „Du störst.“
    Susanna ging ins Haus. Tränen brannten in ihren Augen. Dann eben nicht, dachte sie. Sie brauchte niemanden, schon gar nicht eine Cousine Antoinette. Würde sie eben die Bibliothek erkunden.
    Sie betrat den Raum und schnupperte. Es duftete nach einer Mischung aus Papier, Staub und Druckerschwärze. Langsam ging sie an den Regalen entlang und strich mit den Fingerspitzen über die Bücher.
    Was verbarg sich wohl hinter diesen Buchdeckeln? Wohin entschwanden Romanfiguren, wenn man ein Buch schloss? Susanna kicherte, sicher legten sie sich eine Runde aufs Ohr. Wenn man dann das Buch plötzlich wieder aufschlug, herrschte Hektik zwischen den Zeilen. Alle ordneten unauffällig ihre Frisuren und Kleidungsstücke, damit dem Leser nicht auffiele, dass sie nicht bei der Sache gewesen waren.
    Unter einem Fenster stand ein Lehnstuhl, ein schwerer, bequemer Ohrensessel aus braunem Leder. In diesen Sessel kuschelte sich nun Susanna. Später würde sie sich ein Buch aussuchen. Doch zuerst musste sie über das nachdenken, was sie Herrn Moulin entlockt hatte.
    Die ganze Sache klang mysteriös. Wer zum Teufel mochten diese Grenzgänger sein? Und was bedeutete Anwartschaft? Besonders der Ort, aus dem diese Leute stammen sollten - Kis-Ba-Shahid – klang eher nach einem Märchen. Außerdem schien sie selbst auch von dort zu kommen – sonst würde man sie ja nicht mit Blüten bewerfen. Klar, dachte Susanna, mein Onkel ist der kleine Muck und meine Tante Scheherazade . Sie fing an zu lachen.
    Es gab noch mehr Seltsames. Was hatte er gesagt? Sie sollte ihre Bestimmung erfahren? Wahrscheinlich war Herr Moulin seniler, als Toni angenommen hatte. Entweder hatte er zu viel Fantasie oder nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wie auch immer, Susanna glaubte kein Wort von dem, was er gesagt hatte. Allerdings stand sie damit wieder am Anfang ihrer Überlegungen.
    Ihr Blick fiel auf die Bücher, die sie zu Tausenden umgaben. Bücher enthielten Wissen, Wissen, das es zu befreien galt. Vielleicht fand sich in einem dieser Bücher genau das, was sie so dringend zu wissen begehrte. Sie sprang auf und trat zu den Regalen. Aufmerksam las sie die Titel und die Namen der Autoren. Es schien keine Logik in der Anordnung zu liegen. Also ließ sie sich treiben, zog einmal hier ein Buch hervor, einmal dort. Sie blätterte hinein und stellte es zurück an seinen Platz.
    So ging sie einige Zeit von Regal zu Regal, ohne einen Hinweis zu finden. Im Grund war sie sich nicht klar darüber, wonach sie eigentlich suchte. So wird das nichts, erkannte sie. In größeren Bibliotheken gab es häufig Kataloge oder Stichwortverzeichnisse, zumindest aber eine Liste aller Buchtitel, chronologisch oder alphabetisch geordnet.
    Wo würde man ein solches Verzeichnis aufbewahren? Susanna sah sich nach einem Schrank um. Sie trat heran, packte einen der Griffe und zog, doch die Tür war verschlossen. Auch die andere Tür gab nicht nach. Sie zerrte an einer der Schubladen, ohne Ergebnis. Das zweite Schubfach war ebenfalls versperrt, ebenso das dritte und das vierte.
    Endlich, die fünfte Lade

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