Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
Atelier und möchte nicht gestört werden.“
„Jawohl, Cousine Antoinette.“ Susanna verdrehte die Augen.
Antoinette verschwand, kehrte allerdings gleich darauf noch einmal zurück.
„Wie wäre es, wenn du Toni zu mir sagst? Das klingt nicht so förmlich. Abgemacht?“
Häh? Susanna wunderte sich über die plötzliche Veränderung der einsilbigen Cousine. Doch Antoinettes Grinsen wirkte ansteckend.
„Abgemacht Cousine Antoinette, äh Toni.“ Susanna lächelte ebenfalls.
Bald darauf begann das Hämmern erneut.
Den Vormittag über erkundete Susanna das Haus. Sie durchstreifte die Flure, zog von Zimmer zu Zimmer. Hin und wieder öffnete sie eine Schublade oder eine Schranktür, doch die meisten Schränke waren leer.
Nur zwei Räume erschienen ihr interessant. Sie würde sie jedoch erst später genauer untersuchen, denn die Standuhr im Wohnzimmer schlug zwei Uhr. Zuerst einmal hatte Susanna Hunger.
Sie belegte eine Scheibe Brot mit Schinken und verzog sich auf ihr Zimmer. Dort wartete eine SMS auf sie. Patrick hatte geantwortet.
„Don’t worry. Lesancé in Belgien? Ich habe Onkel Sam nicht erreicht. Sag’ Bescheid, wenn ich eine Rettungsmission organisieren soll. CU, Patrick.“
Wie süß , er wollte kommen, um sie zu retten. Wie ein Prinz im Märchen.
Sie öffnete eine Mitteilung und schrieb, Rettung wäre erst einmal nicht nötig. Schon wollte sie die Nachricht abschicken, als sie sich besann. Todesmutig fügte sie einen weiteren Satz an. „Schade, dass du so weit weg bist.“ Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend drückte sie auf Senden.
Die nächsten Stunden verbrachte Susanna lesend im Bett. Gegen achtzehn Uhr ging sie nach unten. Sie hoffte, Toni käme bald aus dem Atelier.
Sie betrat das Wohnzimmer. In beinahe allen Zimmern des Hauses gab es große offene Kamine. Der im Wohnzimmer jedoch übertraf alle anderen. Er war so groß, dass Susanna aufrecht hätte darin stehen können.
Fotos in silbernen Rahmen reihten sich auf dem Sims aneinander. Susanna betrachtete die Bilder, eines nach dem anderen. Sie stutzte. Sah die junge Frau nicht aus wie ihre Mutter? Susanna nahm den Rahmen vom Sims und schaute das Foto genauer an. Tatsächlich, es war Sarah, die zu dem Zeitpunkt der Aufnahme vielleicht zwanzig Jahre alt gewesen war. Sie trug ein Sommerkleid, das Haar hing ihr offen über die Schultern und sie lachte fröhlich. Neben ihr standen ein Mann und eine Frau, deren Gesichter nicht zu erkennen waren. Wo das Bild wohl gemacht worden war?
Erneut verging eine Stunde. Endlich kam Toni aus dem Atelier. Während des Abendessens schwieg Antoinette. Sie kaute unendlich langsam, während Susanna auf ihrem Stuhl nervös hin- und herrutschte. Wann war sie denn endlich fertig?
Schließlich hielt Susanna es nicht mehr aus.
„Ich habe ein Foto meiner Mutter gefunden.“
„Beim Essen wird nicht geredet.“
Doch auch nach dem Essen konnte Susanna ihre Frage nicht stellen, denn zuerst musste das Geschirr abgeräumt und abgewaschen werden. Susannas Ungeduld wuchs von Minute zu Minute.
Erst als nichts mehr auf das Abendessen hindeutete, wandte sich Toni dem Wohnzimmer zu. Susanna atmete auf, dann hielt sie ihr das Foto entgegen.
„Das ist doch Mama auf dem Bild, oder nicht?“
Toni nickte.
„Wann wurde die Aufnahme gemacht?“
„Das ist Jahre her, in irgendeinem Sommer.“
„Aber wann und wo genau ist das Bild entstanden?“
„Das weiß ich nicht mehr. Es muss ein Sommerausflug gewesen sein, bei dem wir uns getroffen haben.“ Die Cousine sprang auf. „Ich muss noch mal ins Atelier, warte nicht auf mich.“ Schnellen Schrittes verließ sie das Zimmer.
Um nicht vor Langeweile umzukommen, machte Susanna einen Spaziergang. Sie trat durch das Tor auf den Gehweg. Die Luft war angenehm warm, obwohl es bald dämmern würde. Auf dem Marktplatz bliebe Susanna stehen.
Von irgendwoher hörte sie Gelächter. Sie schaute sich um, aber bis auf ein paar Blumenkübel und eine Sitzbank war der Platz leer.
Beinahe alle Häuser des Dorfes bestanden aus Bruchsteinen. Schmale Straßen, die Fahrbahn bot kaum genug Platz für einen Kleinwagen, durchzogen den Ort. Die meisten Gassen waren nicht einmal asphaltiert, sondern kopfsteingepflastert. In einer dieser Gassen traf Susanna auf die ersten Bewohner. Zaghaft grüßte sie und die Menschen nickten ihr zu.
Susanna schlenderte weiter. Verirren konnte man sich hier nicht. Sämtliche Wege schienen zum Marktplatz zu führen. Die einzige Zufahrt zum Dorf bot
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