Am Ende bist du mein
Jagdeifer erwacht. Er würde die vermissten Frauen finden, wenn nicht heute, dann an einem anderen Tag. Seine Gefühle für Adrianna würde er wie immer beiseiteschieben.
Drei
Dienstag, 26. September, 08.30 Uhr
Der Familienfriedhof der Thorntons wurde von Bäumen und einem schmiedeeisernen Zaun umschlossen, von dem die schwarze Farbe abblätterte. Eine uralte Eiche beschattete einen Teil der elf Grabsteine. Die meisten davon waren verwittert, Opfer von Regen und Wind. Ein wenig abgesetzt befanden sich darunter die drei Gräber von Craig Thornton und seinen Eltern. Dort waren die Marmorgrabsteine blank geputzt und die Messingplaketten poliert.
Als Adrianna ihren Mann im letzten Dezember begraben hatte, wäre ihr der Gedanke, sein Grab eines Tages wieder zu entfernen, mit Sicherheit nicht gekommen. Doch Schuldenberge waren eine Macht, die Prioritäten verlagern konnten.
Schon von weitem erkannte Adrianna die Ansammlung der Fahrzeuge, die auf der Wiese geparkt hatten: Lastwagen, einen Bagger, einen weißen Mercedes, einen alten Toyota und einen dunklen Crown Victoria. Die Lastwagen und der Bagger gehörten Miller Construction, der Mercedes William Mazur, der Toyota Dr. Cyril Heckman. Letzterer hielt ein selbstgemachtes Plakat in den Händen, auf dem «Rettet unsere Toten» stand, aber wenigstens hatte er die Presse nicht herbeilocken können.
Auf den Crown Victoria konnte sie sich keinen Reimmachen. Er stand abseits der anderen Fahrzeuge, wie eine Spinne, die ihre Beute belauerte.
Adrianna verließ ihren Wagen. Dem Crown Victoria entstiegen zwei Männer, einer von ihnen in abgewetzten Cowboy-Stiefeln. Sie standen mit dem Rücken zu ihr, doch den größeren der beiden erkannte sie an dem breiten Kreuz und der lässigen selbstbewussten Haltung, die fast schon an Arroganz grenzte. Gage Hudson.
Ein unruhiges Kribbeln lief ihr über die Wirbelsäule hoch zum Nacken. Was hatte Gage Hudson hier zu suchen?
«Verdammt», murmelte sie. Es gab nicht viel, das Adrianna in ihrem Leben bereute, doch Gage Hudson stand auf der kurzen Liste an erster Stelle. Im Geist kehrte sie zu ihrer letzten Begegnung zurück und den Fragen, die er über Craig gestellt hatte. Mit Sicherheit war er nicht erschienen, um ihr einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.
Sie beschloss, es sofort hinter sich zu bringen, straffte die Schultern und ging auf geradem Weg auf ihn zu. Auch ein Pflaster riss man besser in einem Rutsch ab, statt es langsam von der Haut zu zupfen. Es war weniger schmerzhaft. Hoffte sie jedenfalls.
«Detective Hudson.» Zum Glück klang ihre Stimme klar und fest. «Was führt Sie denn hierher?»
Seine verspiegelte Sonnenbrille verbarg seinen Blick, doch die leichte Verkrampfung seiner Schultern entging ihr nicht. Anscheinend hatte ihm die förmliche Anrede nicht gefallen. Wahrscheinlich waren seine grauen Augen hinter den Gläsern schmal geworden. War nicht mehr zu ändern und auch besser so.
«
Ms.
Thornton. Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, aber mein Partner – Detective Vega – und ich wollen uns die Verlegung der Gräber ansehen.»
Auch der schleppende Akzent des Südwestens war unverkennbar.«Ich heiße Barrington. Warum sollten Sie dabei sein?»
Er machte einen trägen Schritt auf sie zu. «Ich glaube, das wissen Sie,
Ms.
Barrington.»
Zwei verschwundene Frauen hatte er bei ihrem letzten Zusammentreffen erwähnt. Und jetzt glaubte er offenbar, sie wären hier draußen begraben. Seinen Besuch hatte er nicht angekündigt, was hieß, dass er ihr nicht traute. Die Erkenntnis versetzte ihr einen Stich. In barschem Tonfall fragte sie: «Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?»
Gage schüttelte den Kopf, langsam und bedächtig. «Nein, Ma’am. Ich bin einfach so vorbeigekommen. Finden Sie, dass ich einen Durchsuchungsbefehl brauche?»
Etwas Drohendes lag in seiner Stimme, als blinke eine Warnleuchte auf. Wie immer in seiner Gegenwart geriet Adrianna aus dem Gleichgewicht. Sie hielt sich vor Augen, dass er lediglich seine Pflicht tat und aus beruflichen Gründen erschienen war. Nichts Persönliches.
Aber warum empfand sie es dann als etwas Persönliches? Ebenso wie die Fragen, die er ihr seinerzeit im Krankenhaus gestellt hatte. Sie fühlte sich angegriffen – genau wie damals.
Adrianna wusste, dass die Augen von Mazur, Dr. Heckman und den Arbeitern auf ihr ruhten. Sie zwang sich zu lächeln, auf eine Weise, die die meisten Menschen entwaffnete. Eher würde sie sich aufhängen, als vor Gage eine
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