Am Ende bist du mein
Generationen stecken. Wer weiß, auf was Sie da alles stoßen?»
«Ja, wer weiß.»
Zwei
Dienstag, 26. September, 08.15 Uhr
Gage Hudson war auf dem Weg zu den Colonies und spürte die Unruhe in seiner Magengrube, die sich verstärkte, je näher er seinem Ziel kam.
«Mach lieber halblang, Hudson», sagte Nick Vega. «Die Thorntons waren alter Virginia-Adel, und du, Sportsfreund, bist ein armer Hund aus dem Südwesten.» Nick war Detective im Morddezernat und saß auf dem Beifahrersitz des Crown Victoria. Vollkommen entspannt lehnte er sich zurück, schien keine Sorge auf der Welt zu haben und zuckte nicht einmal zusammen, als Gage aufs Gaspedal trat und auf der engen Straße einen Lieferwagen überholte.
Hudson leitete die Vermisstenabteilung, wünschte sich jedoch, bei seinen Suchaktionen häufiger Lebende als Tote zu finden. Schon seit Jahren arbeitete er mit Vega und den anderen Mitgliedern der Mordkommission zusammen. An deren Arbeitsweise und einige ihrer Marotten hatte er sich inzwischen gewöhnt. Auch Vegas Hänseleien und Seitenhiebe nahm er hin; sie gehörten zu ihm wie seine Vorliebe für Zigarren und Jazzmusik.
«Hast du bei meiner Einführung geschlafen?» Wenn Gage gestresst war, trat die Sprechweise des südwestlichen Virginia deutlicher hervor.
Vega zuckte mit den Schultern. Es waren die breiten Schultern eines Mannes, der Gewichte stemmte und in der Amateurliga Baseball spielte. Vega war Anfang dreißig, mit olivfarbener Haut und tintenschwarzem Haar, das er kurz trug. Er bevorzugte lässige Kleidung, Hemden mit offenem Kragen, weite Hosen, und liebte schlechte Witze, hatte aber einen scharfen Verstand. «Ich musste ans Telefon. Das große Finale habe ich verpasst.»
Gage trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Er mochte es nicht, wenn er etwas zweimal sagen musste. Seit zwölf Jahren war er bei der Polizei, die letzten sechs in der Vermisstenabteilung. Bei der Arbeit galt er als zäher Bursche, wenn nicht gar als Jagdhund, wie einige behaupteten.
Gages Fähigkeiten wurden jedoch nie in Frage gestellt, obwohl es Menschen gab, die sich fragten, warum er zur Polizei gegangen war, da er doch eine vielversprechende Football-Karriere vor sich gehabt hätte.
Gage hatte schon in seiner Kindheit Football gespielt. Dank seines Talents und seiner eisernen Disziplin hatte er sich bereits in der Schulmannschaft hervorgetan und später an der Virginia Tech ein Stipendium erhalten. Schon im ersten Studienjahr war er Quarterback der College-Mannschaft geworden. Im zweiten Jahr – nach einem großen Sieg in der Sugar Bowl – war Gage ein regelrechter Star. Dem folgten eine schnelle Heirat mit dem Mädchen, das die Cheerleader anführte, und ein Vertrag mit den Atlanta Falcons. Danach war Gage Hudson unantastbar, zumindest für kurze Zeit.
Nach nur zwei Wochen im Trainingslager wehrte er einen brutalen Angriff ab, riss sich die Sehnen und Knochen einer Schulter und landete als Verletzter auf der Reserveliste. Seine Frau blieb in Atlanta, doch Gage zog sich nach Virginia zurück, in das Haus, das er seinen Eltern und Geschwistern gekaufthatte. Dort wollte er sich erholen. Eines Nachmittags, während er vor sich hin döste, kam seine Mutter und wollte wissen, wo Jessie sei, Gages zehnjährige Schwester, die vor drei Stunden hätte zu Hause sein sollen. Gage rappelte sich auf und fing an, die Eltern ihrer Freundinnen anzurufen. Niemand hatte Jessie gesehen.
Dann hatte die qualvolle Suche nach dem Mädchen begonnen. Drei schlaflose Tage und Nächte durchkämmte Gage die dichten Wälder der Umgebung.
Am Morgen des vierten Tages entdeckte er Jessie in einer verfallenen Hütte. Sie war an einen Stuhl gefesselt. Betäubt. Schmutzig. Kratzer an den Beinen. Ein Schuh fehlte.
Benommen schaute sie zu ihm hoch. «Gage?»
Selbst jetzt bei der Erinnerung hatte er das Gefühl zu ersticken. In rasendem Tempo war er mit ihr zur Notaufnahme gefahren. Wenig später kamen Ärzte, und sein schlimmster Albtraum wurde wahr. Jessie war vergewaltigt worden.
Jener Tag änderte den Verlauf seines Lebens. Gage verließ die Falcons und wurde Mitglied der Polizei.
Erst da erkannte er, wie wichtig anderen seine Football-Karriere gewesen war. Seine Frau, seine Eltern, die Leute aus der Stadt, sie alle nahmen ihm seine Entscheidung übel und ließen es ihn spüren, jeder auf seine Weise. Aber Gage hatte nicht mehr zurückgeblickt und seinen Entschluss nie bereut.
Gage räusperte sich. «Also, nochmal. Vor drei Jahren habe
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