Am Ende der Nacht
vorher an, um sicherzustellen,
daß Ricky dort sein würde; wenn er bei seiner Plattenfirma in L.A. oder in
seinem Aufnahmestudio in der Wüste von Arizona war, hielt sich Chris auf
Distanz.
Was die jüngeren Kinder im Alter
zwischen neun und fünfzehn anbelangte, so konnte man ihr Verhalten einfach nur
gräßlich nennen. Sie widersetzten sich Charlene bei jeder Gelegenheit und
ließen Vic, der ihnen so gern ein guter Stiefvater sein wollte, mit all seinen
Bemühungen ins Leere laufen. Und sie hatten pro Nase genau ein Wochenende bei
Ricky verbracht, der immer noch einen verkniffenen Zug um den Mund bekam, wenn
er an diese Besuche zurückdachte.
Ich war ja wirklich auf seiten der
Kinder. Ihre Welt war auf eine extrem unerfreuliche und öffentliche Art und
Weise zerbrochen, und sie hatten jedes Recht, ihre Gefühle in einer Form
auszuleben, die ihren kollektiven Spitznamen — Little Savages — rechtfertigte.
Jedenfalls war ich so lange auf ihrer Seite, wie ich nicht daran dachte, was
sie aus meinem Weihnachtsfest machen würden... Meine Schwester und Vic hatten
gleich nach Charlenes karibischer Blitzscheidung im Oktober geheiratet, ihre
Hochzeitsreise aber auf die Weihnachtsferien vertagt. Am dreiundzwanzigsten
Dezember würden sie Ricky die Kinder im Flughafen übergeben und für eine Woche
nach London verschwinden. Ricky sah diesem langen Besuch voller Optimismus
entgegen, aber seit er mit Rae zusammen war, war er in den meisten Dingen
optimistisch, und ich fürchtete, daß ihn eine schlimme Enttäuschung erwartete.
Rae hingegen war schlichtweg entsetzt bei dem Gedanken, eine Hauptrolle in
einer Inszenierung zu spielen, die sich leicht als größte Horrorshow der Saison
entpuppen konnte. Also waren Tante Sharon und Onkel h.c. Hy für die
unterstützenden Nebenrollen in einem Drama verpflichtet worden, das nur ein
Autor mit einer monströsen Phantasie verfaßt haben konnte.
Heiligabend, mein absoluter
Lieblingsabend im ganzen Jahr, würde die Hölle werden...
Mattys Stimme bewahrte mich davor, mir
die Eröffnungsszene meiner persönlichen Weihnachtsversion von Nightmare II auszumalen. Während wir uns der Rückfront eines breiten rotgrünen Holzgebäudes
näherten, sagte sie: »Das ist die Verkaufsstelle. Geplant ist, daß wir am Tag
nach Thanksgiving öffnen.« Noch eine Woche. »Geht das, wenn John bis dahin noch
nicht zurück ist?«
»Es muß gehen, also wird es auch
gehen.«
Zur Linken des Gebäudes war eine freie
Fläche, wo sich bereits geschlagene Bäume stapelten. Auf der anderen Seite
drängten die lebenden Tannen heran, als rangelten sie um die Ehre, als erste
gefällt und mit nach Hause genommen zu werden. Ein großes, zweiflügliges Tor in
der Mitte der Vorderfront stand zum Parkplatz hin offen. Unmittelbar dahinter
kniete ein Mann und zupfte die Äste eines mit weißem Kunstschnee besprühten
Baums zurecht. Er hörte unsere Schritte und sah auf.
Das lockige Haupt- und Barthaar des
Mannes umrahmte ein rotbackiges Gesicht mit blauen Augen unter dicken Brauen;
wäre dieses Haar weiß statt grau gewesen, hätte er als Double für den
Weihnachtsmann fungieren können. »Hey, Matty«, sagte er und erhob sich steif.
Mit einem Nicken in meine Richtung setzte er hinzu: »Eine gottverdammte
Schande, diese Dinger.«
»Meinen Sie die Kunstschneebäume?«
fragte sie.
»Die Kunstschneebäume, genau.
Fünfunddreißig Jahre ist mir so was hier nicht reingekommen, aber der gute John
hat nicht lang gefackelt, als er mich erst mal ausgekauft hatte.«
»Tja, viele Leute mögen so was nun
mal.«
»Die Leute mögen jede Menge Zeug, das
schlichtweg unnatürlich ist. Ein Baum ist ein Baum, junge Frau, und sollte
nicht rausgeputzt werden wie eine kleine Zimperliese mit einem Schürzchen.« Er
zwinkerte mir zu und sagte: »Achten Sie gar nicht auf mich. Ich bin ein oller
Knurrhahn. Fragen Sie meine Frau, wenn ich Sie noch nicht davon überzeugt hab.«
Dann streckte er mir die Hand hin. »Wes Payne, Ex-Eigentümer dieses Ladens und
Aushilfe, wenn Not am Mann ist.«
Ich stellte mich nur mit Namen vor,
weil ich nicht wußte, wieviel Matty diesem Payne von der Sache mit John erzählt
hatte. Offenbar alles, denn sie erklärte jetzt: »Sharon ist eine frühere
Schülerin von mir und Privatdetektivin. Ich habe sie angeheuert, damit sie
rausfindet, wo John steckt.«
Payne wurde ernst. »Immer noch nichts
gehört?«
»Nichts.«
»Sieht ihm gar nicht ähnlich, Matty.
Langsam fürchte ich das Schlimmste.«
Ich fragte
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