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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Payne: »John hat Ihnen
nichts davon gesagt, daß er länger weg wollte?«
    »Kein Wort. Das letztemal gesprochen
hab ich ihn... wann war das doch gleich? Zwei Tage vorher, als er mich gefragt
hat, ob ich in der Verkaufssaison kommen und aushelfen könnte.«
    »War das nicht sehr kurzfristig?«
    »Doch, war’s.«
    »Wenn ich’s recht verstehe, hat er Sie
auch gefragt, ob Zach in der Nacht, in der er dann verschwand, bei Ihnen und
Ihrer Frau schlafen könnte. Wie hat er das denn begründet?«
    »Er hat gesagt, Matty käme erst spät
von einem Charterflug zurück und er hätte zu tun.«
    »Hat er persönlich oder telefonisch mit
Ihnen geredet?«
    »Persönlich. Er kam zu uns rüber, wir
wohnen ein Stück die Straße nach Norden runter.«
    »Kam er Ihnen da vor wie immer?«
    »Tja, das hat Matty mich auch gefragt.
Und zuerst habe ich ja gesagt, aber dann habe ich noch mal drüber nachgedacht,
und... Wissen Sie, ich bin kein großer Menschenkenner. Bäume sind eher meine
Sache. Aber mir ist aufgefallen, daß er... ach, verdammt, mit Worten hab ich’s
auch nicht so.«
    »Lassen Sie sich Zeit.«
    »Na ja, wenn ich’s beschreiben sollte,
würd ich sagen, er stand unter Strom. Wie wenn er wüßte, daß was passieren
würde, und sich nicht sicher war, ob er damit zu Rande kommen würde.«
    »Angst?«
    »Ja und nein. Es war wie... Sie waren
nie im Krieg, klar, aber vielleicht können Sie’s ja trotzdem verstehen. Vor dem
Einsatz, da hat man Angst, aber man ist auch heiß drauf. Man ist total
aufgedreht und will da raus und die Mistkerle fertigmachen. Das hab ich an dem
Tag bei John gespürt, nur auf einem viel niedrigeren Level.«
    Ich war nie im Krieg gewesen, aber ich
hatte ein paar äußerst gefährliche Situationen überlebt und verstand daher sehr
gut, was er meinte. Gefahr hat gleichzeitig etwas Abschreckendes und etwas
Anziehendes, und in meinem Fall zumindest kann die Anziehung so rauschhaft
sein, daß sie die Abschreckung überwiegt. Wenn Paynes Wahrnehmung richtig
gewesen war, war Seabrook jetzt möglicherweise in ernsten Schwierigkeiten.
    Matty, der dieser
Abschreckungs-Anziehungs-Mechanismus ebenfalls nicht fremd war, runzelte die
Stirn. Offenbar war sie zu der gleichen Schlußfolgerung gelangt.
    Ich fragte Payne: »Ist Ihnen sonst noch
irgendwas Ungewöhnliches an diesem Gespräch aufgefallen?«
    »Aus dem Stand erinnere ich mich an
nichts. Aber wenn mir noch was einfällt, laß ich’s Matty wissen.«
    »Oder Sie rufen mich an.« Ich gab ihm
meine Karte. Dann gingen Matty und ich zum Büro. Wes Payne kniete sich wieder
hin, zupfte weiter an dem Baum herum und erklärte ihm, er sei »wirklich ein
albernes kleines Schoßhündchen von einer Douglastanne«.
    Matty führte mich um den Ladentisch im
Verkaufsraum, wo verschiedene Muster-Tannengewinde an den Wänden hingen, und in
einen kleinen Raum dahinter. Hier war es kalt. Ein Quarzstrahler von der Sorte,
die in den achtziger Jahren en vogue gewesen war, stand uneingestöpselt in
einer Ecke. Sie deutete wortlos auf eine Schublade des Aktenschranks und hockte
sich auf die Kante des Metallschreibtischs. Ich merkte, daß sie sich wieder
verschloß — erschöpft und für den Moment nicht in der Lage, sich weiteren
Fragen nach Seabrooks Verschwinden zu stellen.
    Ich machte es kurz mit der Sucherei,
notierte mir Johns und Zachs Sozialversicherungsnummer sowie Konto- und
Kreditkartennummern. Die Akten enthielten die üblichen Papiere: Einkommensteuerrückerstattungen,
den Kaufvertrag über die Baumfarm, neuere Quittungen, eine
Lebensversicherungspolice über zehntausend Dollar, auf der Zach als
Begünstigter eingetragen war, Durchschriften von Registrierungsformularen für
mehrere Schußwaffen und Versicherungsnachweise für drei Kraftfahrzeuge. Ich
fragte Matty: »Welchen von den Pickups hat er genommen?«
    »Den Dodge.«
    Ich notierte das Kennzeichen und die
Fahrgestellnummer des Wagens sowie die Seriennummer der 44er Magnum und suchte
weiter. In der letzten Akte fand ich zwei Geburtsurkunden: die von Zach, die
besagte, daß er als Sohn von John und Wendy Adams Seabrook im Beaumont Hospital
in Royal Oak, Michigan, zur Welt gekommen war, und die von John, ausgestellt
v.om Harper Hospital in Detroit. Ich schrieb sämtliche Informationen ab, auch
die Namen der verantwortlichen Ärzte.
    Als Matty und ich ein paar Minuten
später das Büro verließen, hielt Wes Payne gerade dem nächsten Kunstschneebaum
einen Vortrag. »Was glaubst du«, fragte er, »was deine Momma

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