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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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kümmere es ihn nicht, wie ich mich entscheiden würde, aber das stimmte
nicht. Und ich war mir nicht sicher, ob seine ohnehin schon geschundene Seele
noch einen weiteren Schlag verkraften konnte. Aber wie sollte ich meine
Ermittlungen einleiten, wenn...?
    Rasch ging ich im Geist meine Bekannten
mit Kindern durch. Anne-Marie Altman und Hank Zahn, zwei meiner ältesten und
besten Freunde, hatten eine Pflegetochter, die nur ein paar Jahre jünger war
als Zach. Vielleicht würden die Kids sich ja verstehen — oder wenigstens übers
Wochenende gegenseitig tolerieren. »Zach«, sagte ich, »du fliegst doch gern.«
     
     
     
     

3
    Pier 24½, wo sich seit letztem Sommer
meine Detektei befand, lag am Embarcadero, gleich neben der Löschbootstation
der Feuerwehr von San Francisco und direkt unter der Bay Bridge. Kein idealer
Ort, wenn man kontemplative Stille suchte, aber wunderbar, wenn man die Miete
in Grenzen halten wollte. Von den freien Räumlichkeiten hatte ich über einen
Klienten erfahren, der dort sein Architekturbüro hatte. Leider waren er und der
zuständige Makler, was den kleinen Schönheitsfehler des Objekts anbelangte,
eine Verschwörung des Schweigens eingegangen, bis ich zur Besichtigung
erschien.
    Als ich die großzügigen Räume sah, die
auf den Laufgang an der Nordseite hinausgingen, redete ich mir ein, das Donnern
des Verkehrs auf der Brücke sei doch nur ein fernes Grollen. Auch das Heulen
der Löschbootsirene konnte mich nicht irritieren, als ich in meinem künftigen
Büro stand: einem großen Raum mit ockerfarbenen Wänden und einem riesigen
Bogenfenster ganz am Ende des Piers, mit Ausblick auf Treasure Island. Die
Suite war viel zu groß für meine Detektei, aber das war kein Nachteil, da ich
schon versprochen hatte, meine künftigen Büroräume mit dem neugegründeten
Anwaltsbüro Altman & Zahn zu teilen.
    Anne-Marie und Hank waren entsetzt, als
ich ihnen meinen Fund präsentierte. Wie, so fragten sie, sollten wir uns in
einer solchen Umgebung konzentrieren können? Wir würden chronische
Kopfschmerzen kriegen und von Aspirin leben. Wie sollten wir mit Klienten
telefonieren, geschweige denn von Angesicht zu Angesicht reden? Binnen weniger
Monate — ach, was, Wochen — würden wir stocktaub sein.
    Überhaupt nicht, insistierte Ted
Smalley, Ex-Büroleiter der mittlerweile dahingeschiedenen Anwaltskooperative
All Souls und künftig unser gemeinsames Faktotum. Für so viel Platz würden wir
uns auf alles einstellen können. Beide Firmen hätten noch Raum zum Expandieren;
wir könnten uns eine Bibliothek und einen Besprechungsraum leisten, und er
würde — dem Himmel sei Dank — endlich ein großes Büro für sich und einen
separaten Kopier- und Lagerraum haben. Angesichts dieses Luxus — was waren da
schon ein paar Hintergrundgeräusche?
    Just in diesem Moment heulte die
Löschbootsirene los, und Hank, der in Vietnam gewesen war, fiel vor Schreck
fast um.
    Als er sich wieder erholt hatte,
wanderte Anne-Marie mit der gleichen verschmitzt-befriedigten Miene herum wie
Ted, und der Makler rieb sich bereits die Hände. Hank sträubte sich immer noch,
weshalb uns der Makler wegen des »bedauerlichen Geräuschfaktors« einen
Mietnachlaß von zwanzig Prozent anbot. Wir hatten den Mietvertrag auf der
Stelle unterschrieben und uns seither immer gebrüstet, wie raffiniert wir den
Makler dazu gebracht hatten, mit der Miete herunterzugehen.
    Als Zach und ich an diesem Freitag
abend um kurz nach achtzehn Uhr dort ankamen, waren auf dem Küstenboulevard und
den benachbarten Straßen des South Beach District Massen von Menschen unterwegs
in die unzähligen Bars und Restaurants, die mit der Renaissance unserer
Hafengegend überall aus dem Boden geschossen waren. Innen war das Piergebäude
nahezu verlassen. Bei dem Dokumentarfilmer im Erdgeschoß brannte noch Licht,
und Teds weißer Dodge Neon stand in seiner Parkbox, aber die übrigen Mieter
hatten sich schon ins Wochenende abgesetzt. Ich parkte auf dem mir zugewiesenen
Stück des Betonbodens, wo einst Gabelstapler Frachtgut herummanövriert hatten.
    Zach sprang aus dem Wagen und sah sich
neugierig um. Dieses Interesse für seine Umgebung beschwichtigte meine Sorge
immerhin etwas; bis jetzt hatte er sich all meinen Konversationsversuchen
verweigert und seit Los Alegres ganze sechsmal von sich aus den Mund
aufgemacht.
    Unmittelbar nach dem Start hatte er
mich gefragt: »Hat Matty Ihnen gesagt, daß Sie nicht über das gelbe Haus
fliegen dürfen, wo kürzlich

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