Am Ende der Nacht
unterhalten, denn sie haben eine obsessive und oft richtig
poetische Art, mit den Händen zu reden. Jetzt gerade sah ich die schlanken
Finger einer Frau eine Rollenkehre beschreiben, am Nebentisch vollführten die
plumpen Hände eines Mannes einen Looping. Da sie alle hier in der Bar saßen und
Drinks vor sich stehen hatten, wußte ich, daß keiner von ihnen an der Show
morgen teilnehmen würde, ja, höchstwahrscheinlich hatten die meisten noch nie
etwas Schwierigeres zustande gebracht als einen Spin. Doch genau wie Hy und ich
teilten sie mit den Kunstflugprofis die tiefe Liebe zum Fliegen und das Wissen,
daß es keinen größeren Thrill gibt, als mit einer Maschine, die man total im
Griff hat, ein perfektes Manöver hinzulegen.
Ich wandte mich wieder Hy zu. Er
starrte in die Tiefen seines Glases, das er zwischen den Händen drehte. Dachte
vermutlich an Matty. Vielleicht an das, was diese ehernen Bande zwischen ihnen
geschmiedet hatte. Ich zögerte einen Moment, aus Angst vor dem, was
möglicherweise herauskommen würde, wenn ich seine Gedanken unterbrach. Dann
fragte ich: »Was?«
Er sah lächelnd auf. »Ich habe nur
gerade an das gedacht, was du vorhin zu Matty gesagt hast: Wir werden dafür
sorgen, daß Zach sicher ist. Wir bitten sie, nicht zu fliegen, bis wir
rausgefunden haben, was Sache ist.«
»Und?«
»Scheint, als ob wir immer mehr zusammenarbeiten.
Erst diese Sache drunten in Baja, dann diese Höllenpartie aus der Karibik
hierher zurück und schließlich im Sommer die Geschichte mit Ricky. Und jetzt
Matty und Zach.«
»Ich wollte dich nicht in meinen Fall
mit reinziehen. Fühl dich nicht verpflichtet —«
»Es macht mir nichts aus. Ganz im
Gegenteil sogar. Wir sind ein verdammt gutes Team. Und außerdem bin ich in
Mattys Schuld.«
»Ich dachte, sie wäre in deiner. Warum
hätte sie mir sonst diese ganzen verbilligten Flugstunden geben sollen?«
»Bist du je auf die Idee gekommen, sie
könnten subventioniert worden sein?«
»Von...? Oh, Ripinsky, das hast du
nicht getan!«
»Und ob. Ich brauchte dich als
Kopilotin.«
Ich wußte nicht, ob ich mich ärgern
oder geschmeichelt fühlen sollte. Einerseits hatte er mich zu einer
Wohltatenempfängerin degradiert, protegiert von einem anonymen Förderer.
Andererseits war ihm so viel an mir gelegen, daß er mir ermöglicht hatte, was
ich mir so sehnlich gewünscht hatte. »Wenn ich gewußt hätte —«
»Hättest du’s abgelehnt, und dann hätte
ich dir selbst Flugstunden geben müssen. Und das wäre die reine Hölle gewesen.
Aber so oder so — für mich stand fest, daß aus dir eine Pilotin werden sollte.«
»Warum?«
Er zuckte die Achseln, jetzt auf einmal
verlegen. »Ach, ich habe wohl gedacht, wenn du die Fliegerei so lieben lernst,
wie ich sie liebe, werde ich dich nicht verlieren.«
Er offenbarte normalerweise so wenig
von seinen Gefühlen, aber wenn er es tat...
Ich legte die Hand auf seinen Unterarm
und drückte ihn. »Du hättest mich nicht verloren — Flugstunden hin oder her.
Aber jetzt bin ich in deiner Schuld. All diese moralischen Verpflichtungen:
deine, meine, Mattys.«
»Ja.« Sein Blick wurde melancholisch,
als ich ihren Namen erwähnte, und er trank seinen Rest Bier aus. »Bestell uns
noch eine Runde, okay? Ich hol uns inzwischen noch was von diesen schlappen
Hors d’œuvres-Imitaten.«
Ich winkte der Bedienung und sah Hy
nach, wie er sich zwischen den vollbesetzten Tischen durchzwängte. Groß,
schlank und auf herbe Art gutaussehend, veranlaßte er etliche Frauen zwischen
unserem Tisch und dem Büfett, die Köpfe zu drehen.
Seltsam. Wir besaßen zusammen ein Haus.
Wir lebten zusammen ein Leben, das zwar eher unkonventionell war, uns aber
beiden gefiel. Er liebte mich, ich liebte ihn — das war inzwischen geklärt und
ausgesprochen. Doch obwohl ich geglaubt hatte, all seine Geheimnisse zu kennen,
mußte ich jetzt feststellen, daß es da immer noch Punkte seiner Vergangenheit
gab, die absolutes Sperrgebiet waren.
Und es war eine beunruhigende
Erkenntnis, daß einer dieser Punkte mit meiner Freundin Matty Wildress zu tun
hatte.
5
Die weite Ebene nordwestlich von
Sacramento, wo sich der Flugplatz befand, lag unter einer Bodennebeldecke. Zwar
war die Nacht kristallklar gewesen, als Hy und ich hier gelandet waren, aber
der kalte Erdboden hatte die Lufttemperatur bis zum Taupunkt gesenkt, und jetzt
verhüllten Nebelschwaden das Flachland und die fernen Berge. Diese Art Nebel
hält der Sonne jedoch meist nicht
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