Am Ende der Straße
wissen doch alle, dass inzwischen selbst das kleinste Ärgernis, ein Fünkchen Wut oder sonst eine negative Emotion wie Dynamit wirkt. Bislang hat es ihnen gereicht, sich einfach in unserem Viertel in den Schatten rumzudrücken. Vielleicht haben sie Angst davor, etwas gegen uns zu unternehmen. Elende kleine Schisser – entschuldige meine Ausdrucksweise, Christy.«
Trotz dieser neuen Bedrohung musste sie grinsen. »Ich habe nichts gehört.«
»Aber wenn sie ein paar mutigere Anhänger finden, die Druck auf sie ausüben, oder wenn das, was in der Dunkelheit lauert, sie weit genug treibt, kann man unmöglich
sagen, was für eine kranke Scheiße die abziehen werden«, fuhr Russ fort.
»Sie haben keine Waffen«, gab ich zu bedenken. »Weißt du noch? An dem Tag, als wir da rausgegangen sind, waren ich, du, Drew und Clay die Einzigen, die Waffen trugen.«
»Schon, aber inzwischen liegen doch überall Waffen herum. Wie das Gewehr, das ich gefunden habe. Knarren gibt es jetzt überall. Wie viele Leute in dieser Stadt sind wohl jedes Jahr auf die Jagd gegangen? Mann, die meisten Firmen haben ihren Angestellten am ersten Tag der Jagdsaison sogar freigegeben. Genau wie die Highschool. Das war ein städtischer Feiertag. In den Häusern der Leute liegen massenweise Waffen rum. Und jede Menge Munition. Und selbst wenn sie selbst keine Waffen haben, besitzt wahrscheinlich einer ihrer neuen Anhänger eine.«
»Okay.« Ich dachte kurz nach. »Der stärkste Angriff liegt in einer guten Verteidigung, stimmt’s? Also sollten wir an unseren Verteidigungsmaßnahmen arbeiten. Wir wissen, dass die Feuerleiter sicher ist, da sie nicht bis zum Boden reicht. Also müssen wir nur die Eingangstür abschließen – und dafür sorgen, dass die absolut sicher wird. Dann verstärken wir Cranstons Fenster, vielleicht indem wir sie zunageln oder so. Er bewohnt das gesamte Erdgeschoss.«
»Er ist auch so schon paranoid genug«, unterbrach mich Christy. »Da macht der niemals mit.«
»Doch, wird er«, widersprach ich. »Cranston wird das verstehen. Entweder das, oder er kann sich eine neue
Wohnung suchen. Wenn wir das alles durchziehen und dafür sorgen, dass die Tür im Keller ebenfalls gesichert ist, müssen wir uns nur noch von den Fenstern fernhalten, dann kann uns nichts passieren. Habe ich Recht? Sie können nicht auf uns schießen, wenn sie uns nicht sehen.«
Russ schüttelte den Kopf. »Und wer sagt uns, dass sie nicht einfach versuchen, die Bude abzufackeln, solange wir noch drin sind? Oder was ist, wenn sie es irgendwie ins Haus schaffen und versuchen, uns mit einem Messer anzugreifen wie diese komische Anna?«
Ich ging zum Schrank, holte den Tequila und schenkte jedem von uns einen Doppelten ein. Die Flasche war fast leer, und eigentlich hatte ich mir den Rest für einen Regentag aufsparen wollen, aber das hier schien mir ein angemessener Anlass zu sein. Und allmählich hegte ich stark den Verdacht, dass es in Walden sowieso keine Regentage mehr geben würde.
»Wo wir gerade von Anna sprechen«, fuhr Russ fort, nachdem er seinen Tequila gekippt hatte. »Es gibt noch mehr schlechte Neuigkeiten.«
Ich zog eine Grimasse, als der Alkohol mir in der Kehle brannte.
»Anna hat den Leuten ebenfalls erzählt, was da draußen passiert ist. Aber in ihrer Version ist alles Dez’ Schuld. Sie behauptet, er wäre eine Art Teufelsanbeter und hätte die Dunkelheit heraufbeschworen. Und sie sagt, du und ich hätten ihm vielleicht dabei geholfen. Ich schätze mal, das kommt daher, dass ich mit ihr gekämpft habe. Außerdem behauptet sie noch, Dez hätte die Kirchen in Brand gesteckt.«
»Das ist doch Schwachsinn«, meinte ich. »Er lebt in dem verlassenen Schuppen hinter der Protestantenkirche. Warum sollte er sie dann abfackeln? Das ist ja so, als würde man sein eigenes Haus anzünden.«
»Ich weiß, aber das erzählt sie nun mal rum, und langsam fangen die Leute an, ihr zu glauben. Wie gesagt, die Leute suchen nach einem Schuldigen. Nein, das stimmt nicht. Sie brauchen einen Schuldigen. Und Anna und T liefern ihnen einen. Und das Schlimme daran ist, dass du und ich die Sündenböcke sind. Und Christy.«
»Aber ich habe doch gar nichts getan!«
Ich konnte die Angst in ihrer Stimme hören. Es erinnerte mich daran, wie sie geklungen hatte, als ich sie in der Zoohandlung gestellt hatte. Ich schloss für einen Moment die Augen und zwang die Erinnerungen, sich zu verpissen und die Schuldgefühle gleich mitzunehmen. Dann schlug ich die Augen
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