Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
«Bitte nicht!», fleht sie leise.
Doch Poppy rappelt sich auf, sieht zu Martha hoch und steckt den Daumen in den Mund.
Miller trommelt von außen gegen die Klotür. «Wie lange dauert das denn noch? Komm sofort raus!»
Martha drückt auf die Klospülung und ruft: «Lauf, Poppy. Lauf!»
Und wirklich, Poppy setzt sich in Bewegung, doch sie läuft nicht nach rechts in Richtung Straße, sondern nach links in den Garten.
«Andersrum, Poppy, das ist falsch!» Martha brüllt jetzt, es ist ihr völlig egal, ob Miller sie hören kann oder nicht! Hauptsache, die Kleine ist in Sicherheit. Aber die dreht nicht um, sondern läuft weiter in die falsche Richtung und verschwindet auf der Rückseite des Hauses.
Holz splittert, mit lautem Krach schwingt die Tür auf. Martha dreht sich um. Miller steht in der Tür, sein Gesicht ist vor Wut verzerrt.
Verzweifelt klammert sie sich an das Fensterbrett.
«Vergiss es, du fette Kuh passt da nicht durch!», höhnt er und reißt sie brutal runter.
«Aber Poppy hat durchgepasst», stößt Martha hervor. «Sie ist weg! In Sicherheit.»
«Keine Sorge, die finde ich», sagt Miller. «Weit wird sie in ihrem Zustand nicht kommen.»
Unsanft schubst er sie durch die Klotür und ein Stück den Flur entlang. Vor der Haustür stehen zwei Reisetaschen. Martha ist erleichtert. Anscheinend will er sie aus dem Haus jagen. Sie wird Poppy suchen und dann …
Doch Miller öffnet nicht die Haustür, sondern eine schmale Tür daneben. Martha weiß sofort, wohin die Treppe führt. In den Keller.
«Los, runter mit dir!»
Martha bleibt stehen. «Was haben Sie vor?»
«Das wirst du gleich erleben.» Miller versetzt ihr einen heftigen Stoß, sodass sie fällt und mit dem Rücken an die metallbeschlagenen Stufen knallt. Ihr bleibt die Luft weg.
«Aufstehen! Mach schon!» Miller wird ungeduldig.
Selbst wenn Martha wollte, sie könnte sich nicht rühren. Brutal zerrt er sie hoch, sie schreit auf.
Er drückt sie gegen eine Tür aus rohem Holz, zieht den schweren Riegel vor, der Raum dahinter ist dunkel.
«Neihein», jammert Martha. «Nicht da rein, bitte, bitte nicht.»
«Da kannst du lange bitten. Sie lässt sich nicht erweichen.»
«Sie?»
«Mutti. Hat mich hier immer eingesperrt. Einmal einen ganzen Tag lang. Und eine Nacht. Am Ende wusste ich nicht mehr, ob Abend oder Morgen ist.»
«Das tut mir leid», sagt Martha. Dabei tut es ihr überhaupt nicht leid, sie wünscht sich, Millers Mutter hätte ihn hier drin krepieren lassen.
Miller lockert seinen Griff und sieht Martha an. Sein Gesicht kommt ihr jetzt ganz nah. «‹Das wird dir deine sündigen Gedanken austreiben›, hat sie gesagt. Hat es aber nicht, im Gegenteil. Nach jeder Stunde hier drin war ich noch schärfer auf die kleinen unschuldigen Dinger als vorher.»
«Tut mir leid», wiederholt Martha und weiß, dass das ein Fehler war.
«Dir wird noch viel mehr leidtun, das verspreche ich dir.»
Sein Arm schnellt vor und katapultiert sie in die Finsternis. Ehe Martha es begreift, knallt die Tür zu, und sie hört, wie krachend der Riegel vorgeschoben wird.
Sie liegt auf dem kalten Betonboden, hat Staub und Dreck im Mund. Ihre Wange ist aufgescheuert. Am liebsten würde sie liegen bleiben. Liegen bleiben und sterben. Aber sie stirbt nicht, wenn man stirbt, spürt man keine Schmerzen mehr. Ihr Rücken, der Arm, das Gesicht. Alles brennt und pocht und hämmert.
Sie versucht aufzustehen, verharrt in der Hocke und wartet darauf, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen, aber das tun sie nicht. Wie auch. Hier gibt es nicht ein Fünkchen Licht. Kein spinnwebverhangenes Kellerfenster, durch das etwas Helligkeit dringen könnte. Martha robbt zur Tür, zieht sich an der Klinke hoch und tastet die Wand neben der Tür ab in der Hoffnung, einen Lichtschalter zu finden. Nichts. Nur feuchter, rauer Putz. Sie versucht, die Größe des Raumes zu erfassen, indem sie vorsichtig ein paar Schritte geradeaus macht. Nach nicht mal zwei Metern stößt sie wieder an eine Wand. Als sie sich nach links wendet, berührt sie mit dem Fuß etwas Hartes. Sie will sich hinunterbeugen, aber ein stechender Schmerz schießt ihr durch den Rücken. Ganz langsam geht sie in die Knie, das ist weniger schlimm. Sie fühlt eine Holzstange, eine Querstrebe, an der eine faserige Schnur befestigt ist. Erst begreift sie nicht, was das sein könnte, bis sie rostiges Eisen unter den Fingerspitzen spürt. Ein Schlitten!
Vielleicht findet sie auch noch etwas, mit dem sie die
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