Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)

Titel: Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
Vom Netzwerk:
Tischkante, sodass der Bademantel auseinanderklafft. Martha bemüht sich, nicht auf seine nackten Beine zu starren, sonst kotzt sie ihm gleich drauf.
    Stattdessen fixiert sie das verdorrte Trockenblumengesteck in der Mitte des Tisches. Die Schleife muss irgendwann einmal aus rotem Samt gewesen sein, inzwischen ist das Rot zu einem schmutzigen Braun verblichen.
    «Ja, ich war das. Wie konnte ich ahnen, dass meine Schülerin im Schrank steckt.» Er kichert wieder. «Wegen einem Kleid!»
    Miller beugt sich vor und flüstert heiser: «Dabei war es völlig egal, was du anhattest, Martha. Du hättest in jedem Fetzen schlecht gespielt.»
    «Ich hab nie gesagt, dass ich eine gute Schauspielerin bin.»
    «Aber du hast es gedacht. Vor allem in der Szene auf der Treppe …» Miller grinst hämisch.
    Martha muss die Lippen zusammenbeißen. Bloß nicht heulen, bitte nicht heulen!
    Sie wirft einen Blick auf Poppy, deren Oberkörper ein wenig zur Seite gesunken ist, ihre Hände zucken unkontrolliert, das tun sie immer, bevor sie einschläft.
    «Was haben Sie ihr gegeben?»
    «Nur ein leichtes Beruhigungsmittel. Ich will ihr ja schließlich nicht weh tun, der Süßen.» Er schaut Poppy so verlangend an, dass Martha Angst hat, er vergewaltigt sie vor ihren Augen. Sie muss ihn von ihr ablenken. Sie schluckt hart, ihre Kehle ist wie ausgedörrt.
    «Warum haben Sie das getan? Warum haben Sie Frau Dr. Dernburg umgebracht?»
    «Frau Dr. Dernburg!», äfft Miller sie nach. «Die dumme Kuh! Ich hätte nie zu ihr gehen dürfen. Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Dass sie mich heilt? Dass sie mir meine Leidenschaft für kleine Mädchen wegtherapiert? Wäre doch schade gewesen …»
    Sein Blick wandert zu Poppy, die wieder halbwegs aufrecht sitzt und versucht, die Abenteuer der Simpsons zu verfolgen.
    «Ich hab ernsthaft versucht, hier ein neues Leben anzufangen. Dachte, wenn ich am Gymnasium unterrichte, kann nichts passieren. Und wenn Lilli nicht gewesen wäre –»
    «Das waren Sie?», ruft Martha entsetzt.
    «Ich gebe zu, es war ein Fehler. Ein großer Fehler. Sie sah so … so kindlich aus, so unschuldig. Aber das war sie natürlich nicht. Ganz und gar nicht.»
    Er zeigt auf einen grünlich verfärbten Bluterguss an seinem Schienbein. Dann sieht er Martha an, doch sein Blick geht durch sie hindurch, wie durch eine Glasscheibe.
    «Als ich gemerkt habe, dass der Gedanke an Lilli mich nicht in Ruhe lässt, dass ich ständig davon träumte, sie zu berühren, sie zu küssen, ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebe –»
    Martha ballt die Hände zu Fäusten, und wieder durchzuckt sie ein stechender Schmerz im Arm.
    «– da bin ich zu Frau Dr. Dernburg gegangen. Ich hatte gelesen, dass sie eine spezielle Therapie entwickelt hat, die auch bei Pädophilie helfen soll.»
    «Die Urschrei-Therapie», sagt Martha leise.
    «Lächerlich! Ich sollte meine Geburt simulieren. Ständig hat sie in dem Verhältnis zu meiner Mutter herumgestochert. Geholfen hat das kein bisschen. Mein Verlangen nach Lilli wurde immer stärker. Das hab ich ihr gesagt. Ich hab ihr auch gesagt, dass ich nicht weiß, wie lange ich mich noch beherrschen kann. Und diese Kuh, diese frigide Fotze, hat die Therapie beendet und gemeint, sie erstattet Anzeige, wenn ich nicht sofort die Schule verlasse.»
    «Und dann sind Sie zu ihr nach Hause gegangen», sagt Martha.
    «In ihrer Praxis war sie nicht, aber ich musste doch dafür sorgen, dass sie mich nicht anzeigt. Das hätte in Deutschland mein berufliches Aus bedeutet!» Seine Stimme wird hoch und schrill. «Und dann stand da diese unglaublich hässliche Plastik.»
    «Der Schrei»,
murmelt Martha.
    «Keine Ahnung, wie das Ding heißt. Plötzlich hatte ich es in der Hand, ich wollte sie nicht erschlagen, wollte ihr nur drohen, aber dann …»
    «Ich will’s nicht wissen», flüstert Martha.
    Sie starrt auf die Tischdecke. Kaffeekannen sind darauf abgebildet. Kaffeekannen und Teller und Tassen, alles fliegt lustig durcheinander.
    Doch Miller spricht weiter, als wäre er froh, es endlich jemandem erzählen zu können.
    «Aber dann rief meine Mutter an und ich bin so wütend geworden! Dachte ja, ich sei ihr entronnen, indem ich in die Staaten gegangen bin, aber sie hat mich verfolgt. Hat mich verfolgt mit ihrem ewigen: ‹Du kümmerst dich nicht um mich, Alex. Man muss sich um seine Mutti kümmern, hörst du?›»
    Millers Stimme hat einen völlig neuen Ton, er klingt plötzlich wie eine Frau.
    «Hat sie sich um mich gekümmert?

Weitere Kostenlose Bücher