Am Ende der Welten - 16
seien der Beweis, dass dies die Überreste eines verwesenden Kadavers waren, nicht aber ein uraltes Gerippe.« Jetzt erinnerte sich auch Richard. Er nickte. Zedd räusperte sich. »Und, hast du jemals einen Drachen zu Gesicht bekommen, Richard? Einen lebenden, meine ich.« »Ja. Scarlet.«
»Wie bitte?«
»So hieß das Drachenweibchen: Scarlet.« Zedd blinzelte fassungslos. »Du hast also tatsächlich ein Drachenweibchen gesehen … Und es hatte sogar einen Namen?« Richard erhob sich und trat ans Fenster, legte seine Hände auf die steinerne Brüstung, stützte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf und blickte hinaus.
Nach einer Weile meinte er: »Ja. Sein Name war Scarlet. Es hatte mir auch vorher schon geholfen. Es war ein edles Tier.« Er wandte sich vom Fenster herum. »Aber darum geht es gar nicht. Worum es geht, ist, dass du diesen Drachen ebenfalls kanntest.«
Zedd hob erstaunt die Brauen. »Ich soll dieses Drachenweibchen gekannt haben?«
»Nicht so gut wie Kahlan oder ich, aber gekannt hast du es. Ganz offenkundig hat die Feuerkettenreaktion deine Erinnerung an es verzerrt. Der Feuerkettenbann hatte den Zweck, Kahlan aus der Erinnerung aller Menschen zu tilgen, nur vergessen diese Menschen auch andere Dinge, Dinge, die mit ihr in Zusammenhang standen. Meines Wissens könnte es sogar sein, dass du über die Bedeutung der Embleme draußen vor der Enklave des Obersten Zauberers früher sogar besser Bescheid wusstest als ich. Wenn, dann ist dir die Erinnerung daran verloren gegangen. Wie viele andere Dinge mögen ebenfalls verloren gegangen sein? Meine Kenntnisse über die unterschiedlichen Anwendungsgebiete von Magie sind ziemlich begrenzt, aber als wir neulich nachts gegen die Bestie kämpften, schien es mir, als hättet ihr alle früher erheblich einfallsreichere Banne und Kräfte benutzt, statt der doch eher simplen Zauberereien, mit denen ihr die Gefahr abzuwehren versuchtet - wenn man einmal von Niccis Zauberei ganz am Schluss absieht. Genau das war die größte Befürchtung der Männer, die den Feuerkettenbann ersannen, weshalb sie unbedingt verhindern wollten, dass er jemals ausgelöst würde. Deswegen trauten sie sich nicht einmal, ihn auszuprobieren. Sie befürchteten, einmal in Gang gesetzt, würde eine solche Reaktion sich ungehindert verbreiten und Verbindungen zerstören, die bestenfalls entfernt mit dem ursprünglichen Zielobjekt des Banns zu tun haben - in diesem Falle Kahlan. Eure Erinnerung an Kahlan ist verloren gegangen, ebenso eure Erinnerung an Scarlet. Ja, offenbar wurde selbst eure Erinnerung gelöscht, jemals Drachen gesehen zu haben.« Nicci erhob sich. »Richard, kein Mensch bestreitet, dass der Feuerkettenbann furchtbar gefährlich ist. Wir alle wissen das. Wir alle wissen, dass unser Erinnerungsvermögen durch das Auslösen einer Feuerkettenreaktion in Mitleidenschaft gezogen wurde. Machst du dir überhaupt eine Vorstellung, wie verstörend es ist, sich verstandesmäßig bewusst zu sein, dass wir alle Dinge getan und gewusst haben, Menschen gekannt haben, an die wir uns nicht mehr erinnern können? Begreifst du nicht, wie gespenstisch es ist, in der ständigen Angst zu leben, welche Erinnerungen womöglich verloren sind oder noch verloren gehen könnten? Dass sich der eigene Verstand in Auflösung befindet? Worauf willst du eigentlich hinaus?« »Auf genau das - was außerdem noch alles verloren gegangen sein könnte. Ich denke, dieser Zerfallsprozess zieht sich durch das Erinnerungsvermögen aller - der Verstand der Menschen befindet sich in Auflösung, wie Ihr es ausdrückt. Ich glaube nicht, dass die Feuerkette ein singuläres Ereignis war, mit dem Ziel, Kahlan in Vergessenheit geraten zu lassen. Meiner Meinung nach handelte es sich bei diesem Bann um einen fortlaufenden, dynamischen Prozess. Ich denke, der allgemeine Gedächtnisverlust wird weiter um sich greifen.«
Zedd, Cara und Nicci, sie alle wichen Richards unerschütterlichem Blick aus. Nicci fragte sich, wie sie erwarten konnten, ihm zu helfen, wenn keiner von ihnen imstande war, bewusst von seinem Verstand Gebrauch zu machen, geschweige denn den bescheidenen, noch verbliebenen Rest von einem Tag zum nächsten hinüberzuretten. Wie konnte Richard auch nur einem von ihnen trauen? »Ich fürchte, es wird noch weit verwickelter und schlimmer werden, als es bereits ist«, erklärte Richard. Alle Aufgeregtheit war aus seiner Stimme gewichen. »Drachen, wie viele andere Lebewesen in den Midlands auch, brauchen Magie und
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