Am Ende der Wildnis
und aufstapeln. Bei ihrer Einführung in den 1960ern funktionierten sie nur auf offenen, ebenen Flächen – einer an der Nordwestküste nur selten zu findenden Geländeart –, doch in jüngerer Zeit sind Modelle entwickelt worden, die es auch bei dreißig Prozent Steigung mit meterdicken Stämmen aufnehmen. Dank leistungsstarker Scheinwerfer sind sie rund um die Uhr einsetzbar. In einer komfortabel klimatisierten und stereobeschallten Kabine angeschnallt hinter dem Joystick der Maschine, rollt der Holzfäller durch die bergige Wildnis und erntet den Wald ab – in den abgelegensten Gebieten und so schnell, wie es seine Großeltern niemals für möglich gehalten hätten.
Sogar Bill Weber, der erst seit den späten 1970ern in den Wäldern arbeitet, war erstaunt: »Dass es mit dem gesamten Urwald zu Ende gehen könnte, hätte ich mir nicht träumen lassen«, sagte er. Bei vielen Bäumen, die er heute abholzt, hätte die Generation seiner Eltern nur verächtlich den Kopf geschüttelt. »Beim Anblick des Waldes, mit dem wir uns heutzutage abgeben, hätten wir vor zwanzig Jahren nur gesagt: ›Was zum Teufel sollen wir mit dem Scheiß anfangen?‹«
Einer von Webers Kollegen, der vierundfünfzig Jahre alte Holzfäller Earl Einarson, gab mit sehr ehrlichen Worten Aufschluss über seine widersprüchliche Arbeit: »Ich liebe diesen Job«, erklärte er und zeigte auf das wilde Chaos des Urwalds, den er gerade im Begriff war, dem Erdboden gleichzumachen. »Es ist eine Herausforderung, ein solches Durcheinander anzupacken und ihm zu einem zivilisierten Aussehen zu verhelfen.« (Dieses Kind des Atomzeitalters hätte von jedem Siedler des 17. Jahrhunderts zustimmendes Nicken geerntet.) Einarson machte eine kurze Pause, und als Weber, sein Vorarbeiter, auf die zuletzt gefällten Bäume schaute, ließ sich ganz in der Nähe ein großer, glänzender Rabe auf einem Ast nieder, der vierundzwanzig Stunden später nicht mehr dort sein würde. Unweit davon stürzte das Wasser eines unbekannten und unbenannten Wasserfalls fünfundzwanzig Meter tief in ein schimmerndes Becken. Am Tag zuvor hatte Einarson Wapitihirsche vorbeiziehen sehen. Sein Partner merkte an, es gebe anscheinend immer weniger Wild und vermutete, Grund dafür seien die hier stark verbreiteten Wölfe und Pumas. In nach gesägten und gefällten Bäumen duftender Luft setzte Einarson seinen Gedankengang fort: »Was ich auch am Fällen mag«, sagte er, »ist es, durch den Urwald zu laufen. Ist wahrscheinlich ein ziemlicher Widerspruch in sich, etwas zu mögen und es dann zu zerstören.« Genau wie Hunderte Generationen von Waldbewohnern vor ihm ist Einarson auch Jäger und Pilzsammler, und das bringt ihn dazu, seine Arbeit mit dem Jagen zu vergleichen: »Ich habe versucht, mit der Kamera Bilder [von Tieren] zu machen, aber das ist einfach nicht dasselbe, weil man nicht wirklich Teil des Geschehens ist.«
In diesem Sinne unterscheidet sich das Fällen von Bäumen nicht so sehr davon, zum Marine Corps zu gehören, ein Medizinstudium zu absolvieren oder auch Geschichten zu erzählen: Viele von uns – auch die auf dem Sofa liegenden Leseratten – brauchen irgendeine Art von Blutopfer, um der Erfahrung Gewicht zu verleihen. Natürlich sind im Leben eines jeden von uns bei genauerem Hinsehen üble Widersprüche zu finden. Schlachthausarbeiter, Holzfäller und Börsenmakler sind ganz einfach weniger von diesen Ungereimtheiten abgeschottet als der Rest von uns, die von deren Arbeit profitieren. Um in dieser Welt Erfolg zu haben – oder auch nur zu funktionieren –, ist es allem Anschein nach erforderlich, moralischen und kognitiven Dissonanzen mit einer gewissen Toleranz zu begegnen.
Einarson und sein Team waren dabei, das Gelände für eine Forststraße frei zu schlagen, auf der die schweren Logging-Maschinen diesen abgelegenen Teil von Vancouver Island erreichen konnten. Den Holzfällern folgte ein Bagger, begleitet von Kipplastern, die mit Gestein für den Straßenbau beladen waren. Und weniger als einen Kilometer hinter ihnen stand die weltweit größte bekannte Yellow Cedar, ein Riese mit einem Durchmesser von vier Metern, dessen Stamm von leuchtendem samtartigem Moos bedeckt war. Diese Art stellt die am längsten lebenden Bäume des Nordwestens, und es ist gut möglich, dass dieser schon vor dem Fall Roms hier gestanden hat. Aufgrund von Umweltschutzrichtlinien durfte er stehen bleiben, umgeben von einem winzigen Schutzgebiet mit hoch aufragenden Red Cedars. Webers und
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