Am Ende der Wildnis
Einarsons Chef sollte später noch sein Bedauern ausdrücken, dass ihm diese Bäume vorenthalten blieben. Innerhalb weniger Tage sollten fünf Männer und ihre Maschinen diesen S-förmigen Streifen bergiger Wildnis, auf dem Bäume mit einem Durchmesser von drei Metern standen, in eine Straße verwandeln, die für einen Grapple Yarder, einen Holztransporter oder, wenn man so will, auch für einen Buick Sedan passierbar waren.
Wenn Sie diese Worte lesen, wird die jahrhundertealte Cedar zusammen mit ebenso alten Hemlock-Tannen und Balsambäumen des als »Leah Block 2« bezeichneten Fällabschnitts nur noch blasse Erinnerung sein. Längst wird man sie zu Verkleidungsbrettern oder Kanthölzern verarbeitet haben, vielleicht wurden sie sogar zu den Seiten dieses Buchs recycelt. Den dazu nötigen Prozess wird man mit unvergleichlicher Effizienz ausgeführt haben, doch auch das hat seinen Preis – die Mechanisierung ist die mit Ab stand wichtigste Ursache für den Verlust von Arbeitsplätzen. Die Männer dieses Waldarbeitertrupps können klar erkennen, was ihre Vorfahren sich zu vergegenwärtigen nicht in der Lage oder bereit waren: das Ende. »Man könnte uns vorwerfen, dass wir die Ressource leichtfertig verschwendet haben«, so Bill Weber. »Wir haben keine achthundert Jahre Zeit, um einen Urwald zu ersetzen. In ein paar Jahren wird nur noch ein kläglicher Rest übrig sein.«
Was Holzfäller wie Weber und Einarson direkt vor sich am Horizont sehen, ist eine Realität, mit der ihre Kollegen in Washington, Oregon und Nordkalifornien bereits leben müssen. Diese Bundesstaaten haben zusammen neunzig Prozent ihres Urwalds an küstennahem Wald verloren, wäh rend British Columbia, dessen Waldgebiet einmal doppelt so groß war, sechzig Prozent verloren hat. Die Holzfäller der West Coast, die mit den dort ansässigen First Nations oft aneinandergeraten, haben mit den Nuu-chah-nulth, Tsimshian und Haida des 18. Jahrhunderts mehr gemeinsam, als sie denken mögen: Sie sind zwar extrem gut an ihre Umwelt angepasst, genau wie an die traditionellen Aufgaben, die zum Überleben in dieser Welt notwendig sind, aber kaum darauf vorbereitet, irgendetwas anderes zu tun. Viele Holzfäller gehen schon vor Abschluss der Highschool in die Wälder, wo sie »als irgendwas zwischen Junge und Mann«, wie Weber es ausdrückt, »schon so viel verdienen wie ein Erwachsener«. Genau so wie die Haida auf der berauschenden Welle des Otterhandels schwammen, sind diese Männer in eine Situation geraten, deren Verlockung zu widerstehen fast unmöglich ist: Man steht mit Fähigkeiten da, die einen überall sonst zu einem Leben niedriger Tätigkeiten verdammen würden, und plötzlich ist man wohlhabend und geht mit fünfzig- oder hunderttausend im Jahr nach Hause, und das in einer ländlichen Gegend mit extrem niedrigen Lebenshaltungskosten. Doch jetzt sind diese tüchtigen Männer mit ihren fantastischen Maschinen kurz vor der Ziellinie und beten, dass sie dort erst ankommen, wenn es Zeit ist, in den Ruhestand zu gehen.
Genau wie die Haida nach der Dezimierung der Otterpopulation darauf zurückgeworfen wurden, ihren Lebensunterhalt mit Jagen, Fischen und dem Kartoffelanbau zu verdienen, haben viele Holzfäller der West Coast – in etwa demselben Zeitraum – ihr Einkommen in die Höhe eines Ärztegehalts hinaufschnellen und dann im Sturzflug auf das Niveau eines Schulbusfahrers oder sogar auf null fallen sehen. So betrachtet sind Weber, Einarson und ihre lange verstorbenen »Vorgänger« unter den Ureinwohnern nichts als verzichtbare Kanarienvögel in der Kohlengrube des Ressourcenabbaus. Wenn nichts mehr übrig ist, segeln auch diese Nor’westmen der letzten Tage von dannen, während ihre wohlhabenden ausländischen Hintermänner nach dem nächsten großen Ding Ausschau halten. Der Otterhandel von morgen wird hier mit Öl und Erdgas getrieben werden (über die letzten fünfzehn Jahre hat Prince Rupert aufgrund der schwächelnden Fischerei und Forstwirtschaft etwa fünfundzwanzig Prozent seiner Bevölkerung verloren). Das Ende der Branche scheint so unmittelbar bevorzustehen wie das Verschwinden der Sonne, wenn diese erst einmal den Horizont berührt hat. Sogar für jemanden, der an das Tempo urbanen Lebens gewöhnt ist, wirkt die Ge schwindigkeit, mit der die neueste Forststraße sich über den Berghang schlängelt und in diesen abgelegenen und besonders hübschen Winkel des Landes vordringt, bestürzend und ähnelt dem Betrachten einer Krokusblüte
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