Am Ende der Wildnis
… Fast die Hälfte dieses Territoriums ist mindestens einmal abgebrannt worden, etwa drei Millionen Acres fehlt jegliche Walddecke, und mehrere weitere Millionen sind nur teilweise von den toten und sterbenden Überresten des einstigen Waldes bedeckt.
Weiter westlich, in den Great Plains, ereilte die Büffelpopulation dasselbe Schicksal: In den 1880ern war diese zahlenstärkste Herdenspezies der Erde – die einst aus mehreren zehn Millionen Tieren bestanden hat – auf weniger als dreihundert Exemplare reduziert worden. Es war, als seien Legionen von Zauberlehrlingen in die Neue Welt eingefallen: Obschon sie in der Lage waren, die weltverändernden Energien der Dampfmaschine, der Kreissäge sowie des Gewehrs hervorzubringen, scheiterten sie – oder verweigerten sich ganz einfach –, wenn es darum ging, die langfristigen Folgen solch übermenschlicher Fähigkeiten abzusehen.
Die Europäer hatten das Ganze schon hinter sich, und sie waren kein bisschen besser gefahren, obwohl sie dafür, was die Nordamerikaner in wenigen Jahrzehnten vollbrachten, mehrere Jahrhunderte gebraucht hatten. Ihr heimischer Bison war längst ausgerottet (die gegenwärtige Population von rund dreitausendfünfhundert europäischen Bisons ist aus nur fünf überlebenden Exemplaren hervorgebracht worden). Viele europäische Wälder wurden denn auch auf dieselbe Weise wieder zum Leben erweckt wie der Bison: durch systematische Vermehrung. Mitte des 17. Jahrhunderts kam in England die Wissenschaft auf, die sich mit der Bewirtschaftung von Wäldern und Forsten beschäftigt. Ihre Grundsätze wurden von der europäischen Wissenschaftsgemeinde schnell übernommen, und schon Mitte des 19. Jahrhunderts gab es überall auf dem Kontinent zahlreiche Baumanpflanzungen (in Belgien gibt es seit den 1880ern Douglasienbestände). Die Forstwissenschaft machte dann den Sprung über den Atlantik in die Neue Welt, doch während in den Parks der Städte und sogar auf den baumlosen Plains schon bald »neue« Wälder sprossen, wurde die Wissenschaft erst in den 1920ern auf die Kahlschläge der Neuen Welt angewendet, und das auch nur in Form zaghafter Experimente. In den frühen 1890ern – zu der Zeit, als John Muir den Sierra Club gründete – verwandelten sich die »Fällen und Verschwinden«-Holzfällergemeinden in Idaho bereits in Geisterstädte, deren ehemalige Bewohner dabei waren, weiter Richtung Westküste vorzustoßen. Um das Jahr 1919, als eine Gruppe wohlhabender Kalifornier im Begriff war, die Save the Redwoods League zu gründen, tauchten auf dem Titelblatt des Scientific American die ersten mobilen Ketten- und Kreissägen auf. Und nur sechs Jahre später banden sich die ersten lady conservationists an todgeweihte Redwoods, während schwere Maschinen wie zum Beispiel der Washington Flyer die Stämme so schnell aus den Wäldern schleppten, wie sie von den Choker-Männern zum Transport angeseilt werden konnten.
Die Kettensäge und ihre maschinellen Gehilfen – Bulldozer, Stammholzschlepper und selbst ladende Langholz transporter – haben aus den imposanten Bäumen des Nordwestens Objekte gemacht, die ein Mensch von durch schnittlicher Größe und Kondition fällen, ablängen, laden und transportieren kann. Ein Baum mit einem Durchmesser von drei Metern lässt sich heute in rund zehn Minuten fällen, das Ablängen seines Stammes dauert eine halbe Stunde. Anschließend braucht ein Grapple Yarder – im Wesentlichen eine riesige mobile Kralle auf Raupenketten – nur wenige Momente, um die mehrere Tonnen schweren Abschnitte aufzunehmen und auf einen bereitstehenden Transporter zu laden (Trägerbäume werden nicht mehr benötigt.) Theoretisch kann also ein zweihundert Tonnen schwerer Baum, der tausend Jahre unbemerkt gestanden und schwerste Bedingungen wie Wind, Feuer, Hochwasser und Erdbeben ausgehalten hat, in weniger als einer Stunde zu Boden gebracht, in Abschnitte zerteilt und Richtung Sägewerk geschickt werden – von nur drei Menschen. 1930 hätte ein Dutzend Männer für dieselbe Aufgabe einen Tag benötigt, 1890 hätte es Wochen gedauert, und 1790 wäre es eine Frage von Monaten gewesen, vorausgesetzt, man wäre überhaupt in der Lage gewesen, den Baum zu fällen.
Mittlerweile stehen zum Ernten von kleinerem Holz »Feller Buncher« zur Verfügung – sozusagen die Mähdrescher der Holzindustrie. Diese erschreckend effizienten Geräte können durch den Wald fahren und dabei mit einer einzigen fortlaufenden Bewegung Bäume fällen, entasten
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