Am Ende der Wildnis
bewusst wird, wie außerordentlich effizient der Mensch sein kann, wenn es darum geht, die Landschaft zu verändern. Hier draußen sehen die leeren Flächen immer noch aus wie Wunden, wie Schändungen der natürlichen Ordnung, aber im Osten, von Thunder Bay bis Babylon, können wir uns das nur schwer vorstellen, weil der Kahlschlag Generationen vor unserer Geburt stattgefunden hat. Baumlose Weiten finden wir normal, sogar »natürlich«. Wenn wir uns mit dem Lauf der Zeit beschäftigen, neigen wir zur Kurzsichtigkeit und stellen gerne den Menschen in den Mittelpunkt, doch Bäume bieten einen alternativen Maßstab für unseren Fortschritt (und Rückschritt). Wälder, deren Wachstumsrate irgendwo zwischen der von Stalagmiten und Menschen liegt, können als Langzeitgedächtnis dienen und Informationen über unsere Umwelt, ja sogar über uns selbst, verraten, die uns nur unsere Ururgroßeltern hätten erzählen können. Die Kurzversion der Botschaft des Waldes hat der Historiker John Perlin in Worte gefasst: »Die Zivilisation hat noch nie Grenzen ihrer Bedürfnisse anerkannt.«
Tatsächlich traf die Erkenntnis, dass die Neue Welt kein bodenloses Füllhorn ist, die Menschen überraschend früh. In den 1630ern hatte man den Biber in den meisten Teilen der Küste von Neu England bereits ausgerottet, sodass die Pelzhändler gezwungen waren, bei ihren Erkundungen weiter in den Westen und Norden vorzudringen, und dabei tiefer in die Wälder als je zuvor. Im Jahr 1640 war das erste Hirschjagdverbot erlassen worden (in Rhode Island), um das Schwinden des Wilds einzudämmen. Dicht besiedelte Gegenden wie Boston und das südliche Manhattan waren schon lange vor Ende des 17. Jahrhunderts auf Feuerholzimporte aus anderen Regionen an der Küste angewiesen. In dieser Zeit pustete eine damals übliche Feuerstelle etwa achtzig Prozent der Wärme zum Schornstein hinaus und verbrauchte etwa zwanzig Klafter Holz pro Jahr (wofür eine Person etwa einen Monat lang fällen, hacken und stapeln musste). William Strickland, den man auch als Vorfahren der Rohstoffanalysten bezeichnen könnte, kritisierte schon früh die vorherrschende Einstellung zu Bäumen: »Alles, wofür gegenwärtig keine Verwendung besteht, wird ver brannt«, bemerkte er Ende des 18. Jahrhunderts, »wenn wir nicht aufpassen, ist Holz bald sehr rar …«. Aber dieser vorausschauend erhobene Zeigefinger zeigte wenig Wir kung. Der Gedanke, dass nordamerikanisches Holz in seiner Menge endlich sein könnte, erschien lächerlich, bis George Perkins Marsh 1864 ein bahnbrechendes Buch mit dem Titel Man and Nature; or, Physical Geography as Modified by Human Action veröffentlichte. Marsh war ein Renaissance mensch aus Vermont und gilt als Amerikas erster Verfechter des Umweltschutzes. In Man and Nature umriss er mit unmissverständlichen Worten den negativen Einfluss des menschlichen Verhaltens auf die natürliche Landschaft: »Der Mensch«, so schrieb er vor mehr als hundertvierzig Jahren, »der auf diesem riesigen Globus schon jetzt nicht mehr ausreichend Raum zum Atmen findet, kann sich nicht so einfach aus der Alten Welt auf einen bisher noch unentdeckten Kontinent zurückziehen und abwarten, bis der Garten Eden, den er verwüstet hat, sich durch die Schöpfungskraft der Natur langsam wiederbelebt hat.« Im selben Jahr wurde Kaliforniens Yosemite State Reserve geschaffen, zu der auch die ersten bundesstaatlich geschützten Bäume gehörten.
Beweise zur Untermauerung der von Marsh aufgestellten These gab es reichlich. Der Vorstoß in den Westen war in vollem Gange, und die Eichen- und Pinienwälder des Great Lake Basins schrumpften unter dem hemmungslosen Angriff mit Feuer und Stahl. Es dauerte kein Jahrzehnt, bis Regierung und wissenschaftliche Instanzen begannen, regelmäßig Alarm zu schlagen. Sie warnten jeden, der ihnen zuhörte, vor Holzverschwendung, Bränden und Bodenerosion, die Abholzungen und Landrodungen ähnlich zu verlässig auf dem Fuße folgten, wie Geier und Kojoten den Büffeljägern an den Fersen klebten. Diejenigen, die bei ihrer Arbeit dem Land am nächsten kamen und im Rahmen der aufkommenden Fachgebiete Geologie und Forstwissenschaft den besten Einblick hatten, zeigten sich entsetzt. »Fast das gesamte Territorium ist abgeholzt worden«, schrieb ein Forstwissenschaftler 1898 in einer Beschreibung der Wälder im nördlichen Wisconsin:
Aus den meisten Mischwäldern ist die Pinie verschwunden, und der größte Teil der reinen Pinienwälder ist abgeholzt.
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