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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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wenn ein Wal von Hand an Land gezogen wurde. Mit einem weiteren kräftigen Zug hebt sich das obere Ende des Pfahls leicht an, und der Fuß rutscht über die splitternden Planken in sein Loch. Das Geräusch ist kaum erträglich und führt noch einmal den Ernst dieser Aufgabe vor Augen: Die Menge ist so groß und dicht, dass beim Sturz des Pfahls ganz sicher einer, vielleicht mehrere Helfer eingequetscht oder getötet würden. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr – vorsichtig, mühsam wird der Pfahl aufgerichtet. Und schließlich kommt der Moment, in dem der Pfahl in der Mitte des Lochs steht, gehalten nur von den Helfern um ihn herum, und einigen wird nun bewusst, was es heißt, zum Volk der Haida zu gehören – und wie viele Hände es braucht, einen Baum wieder zum Leben zu erwecken.
    * Ein ölhaltiger, fingergroßer Fisch von hohem Handelswert, der essbar ist, wegen seines Öls ausgelassen wird oder wie eine Kerze aufgestellt und angezündet werden kann.
    ** Dieses Kanu wird den Haida zugerechnet, wurde aber vermutlich vom Stamm der Heiltsuk gefertigt, die an der zentralen Festlandküste British Columbias leben.

KAPITEL FÜNF
    Das Wildeste vom Wilden
    Die Haida in Kiusta sahen es zunächst am Horizont als weißen Fleck, der langsam größer wurde. Es machte ihnen Angst, und sie zogen ihre Tanzkostüme an. Sie begannen zu tanzen, um es zu vertreiben, doch es kam immer näher. Aus dem Fleck wurde ein gigantisches Netz, und in der Ferne sahen sie Spinnen im Netz krabbeln. Als es näher kam, sahen sie, dass es an einem Schiff befestigt war, keinem gewöhnlichen Schiff, denn dieses schien Flügel zu haben, die auf beiden Seiten gleichzeitig immer wieder ins Wasser schlugen. Die Spinnen entpuppten sich als menschenähnliche Wesen, doch ihre Gesichter waren weiß. Die Kiusta-Leute glaubten, die Santla ga haade – die Wesen aus dem Geisterland – seien aus dem Reich der Toten zurückgekehrt.
    William Matthews, früherer Häuptling von Old Masset,
in den Worten von Margaret Blackman

    Der ungezähmte Charakter der Ureinwohner jedoch machte jeden Versuch dauerhafter Besiedelung gefährlich, es sei denn, er erfolgte in großen Gruppen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Inseln für den Geographen interessanter sind als für den Kolonialisten. Der Abbau von Bodenschätzen mag sich hier lohnen, für die Landwirtschaft sind die Inseln nutzlos.
    aus The Haidah Indians of Queen Charlotte’s Islands ,
einem Bericht von James Swan, 1873
    V ier Jahre bevor Captain Cook die Nordwestküste erreichte, l ieß Juan Pérez Hernández in Monterey, Kalifornien, an der damals nördlichen Grenze des spanischen Siedlungsgebietes, die Anker lichten und segelte Richtung Norden gen aqua incognita. Seine Mission: die gesamte Nordwestküste für Spanien zu beanspruchen. Schlechtes Wetter und Nebel hielten die fünfundzwanzig Meter lange Korvette namens Santiago über die gesamte Reise von der Küste fern, und nach fünf Wochen Irrfahrt durch das wogende Miasma des Nordpazifiks waren Essens- und Wasservorräte gefährlich geschrumpft, und bei der Mannschaft zeigten sich Anzeichen von Skorbut. Weit entfernt vom eigentlichen Ziel, der damaligen Südgrenze des russischen Siedlungsgebietes in Nordamerika auf dem sechzigsten Breitengrad, sahen sie sich daher zur Umkehr gezwungen. Die Reise war in jeder Hinsicht ein bitterer Misserfolg, mit Ausnahme eines einzigen historischen Ereignisses. Gedanken an die Nachwelt waren so ziemlich das Letzte, was die Seeleute beschäftigte, als am 18. Juli 1774 von einem Ausguck plötzlich Land gesichtet wurde. Vor ihnen lag nicht das Festland des kürzlich erweiterten Neu Spanien, wie ihr Kapitän annahm, sondern eine kleine Insel eines noch auf keiner Karte verzeichneten Archipels. Ohne es zu wissen, hatten Juan Pérez und seine Mannschaft entdeckt, was später unter dem Namen Queen Charlotte Islands bekannt werden würde.
    Während die Santiago die Küste des heutigen Langara Island erkundete, erhielt sie Besuch von mehreren Haida-Kanus. Unter dem Gesang der Ruderer verteilte ein Schamane an Bord des Leitkanus über dem Wasser vor dem mysteriösen Schiff Adlerdaunen. Zwei Priester an Bord der Santiago waren von der angenehmen Art der Ureinwohner angetan und bewunderten ihre überraschend helle Haut und ihre rosigen Wangen. Dabei entging ihnen jedoch nicht der mit einer Eisenspitze versehene Speer auf einem der Kanus. Wo, so fragten sie sich, hatten sich diese Heiden einen so hoch entwickelten

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