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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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Gegenstand angeeignet? Es war nicht klar, ob diese Waffe zum Aufspießen von Seeottern oder Feinden vorgesehen war, doch die Haida schienen freundliche Absichten zu hegen, und es entwickelte sich ein informeller Handel, in dessen Verlauf sie die Seeleute immer wieder einluden, an Land zu kommen. Einhundert Kilometer südöstlich stand die goldene Fichte. Sie war damals etwa fünfundsiebzig Jahre alt und wird eine Höhe von circa dreißig Metern gehabt haben. Man kann nur ahnen, was die Spanier, so besessen von kostbaren Metallen und so geneigt, in jedem Beben des Bodens ein göttliches Omen zu sehen, von einem goldenen Baum in einem grünen Wald gehalten hätten. Wir werden es nie erfahren, denn der Wind flaute ab, und eine starke Strömung trieb das Schiff fort. Vermutlich zum Besten der Besatzung, denn zu diesem Zeitpunkt war noch kein Entdecker, der seinen Fuß an die Nordwestküste gesetzt hatte, zu seinem Schiff zurückgekehrt.
    Das war nur einer der Gründe, warum die Weltkarte so spät um die Northwest Coast ergänzt wurde – abgesehen von den beiden Polen war es das letzte bedeutende Stück, das im Porträt der Erde noch gefehlt hatte. Vorrangige Gründe gab es zwei. Einer war die Motivation, und die war nicht gegeben. Obwohl so kleine und abgelegene Orte wie die Spice Islands im 16. Jahrhundert bereits weltweit Berühmtheit erlangt hatten, waren die Inseln des Nordpazifiks und die dort eventuell existierenden Reichtümer den Europäern völlig unbekannt. Der zweite Grund bestand darin, dass es keine direkte Route gab – sogar Tasmanien war leichter zu erreichen. Der Überlandweg von der Atlantikküste aus war extrem gefährlich und konnte mehrere Jahre in Anspruch nehmen, und die Reise von Europa aus anzutreten war ein noch abschreckenderer Gedanke. Während der 1720er-Jahre brauchte der seefahrende Forscher Vitus Bering schon drei Jahre von Moskau bis zum Pazifik, wo er seine eigentliche Reise beginnen wollte. Und dort angekommen, lagen zwischen ihm und der Northwest Coast immer noch die (damals freilich nicht so benannte) Beringstraße und der größte Teil Alaskas. Der Seeweg war keine bessere Alternative. Wollte man nicht von der Ostküste Asiens in See stechen, dann führte der einzige Weg zum Nordpazifik über das andere Ende der Welt und verlangte je nach Reiserichtung auch die Umsegelung Südamerikas oder Afrikas.
    Die Chinesen, die schon um 1200 im Besitz von Schiffen waren, mit denen man den Pazifik hätte überqueren können, erwähnten einen legendären Ort namens Fousang, der vermutlich die Northwest Coast war. Die Engländer verwendeten dafür einen weniger eleganten Namen: Sie sprachen vom »Hintern Amerikas«, und bis zur exakten Kartierung Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr diese Region diverse kartografische Verunglimpfungen, die auf Fehlinformationen, Wunschdenken und unverfrorene Lügen zurückzuführen waren. Quivira, die legendäre Goldstadt, die Mitte des 16. Jahrhunderts von den Spaniern gesucht wurde, sollte sich dem Gerücht nach dort befinden, ebenso wie diverse versunkene Städte, die Nordwestpassage und deren Vorgänger, die Straße von Anian. Als er Gullivers Reisen schrieb, wählte der Satiriker Jonathan Swift diese wenig erforschte Region als geeigneten Ort für Brobdingnag, das Land der Riesen. Gullivers Reisen wurde 1726 veröffentlicht, zwei Jahre bevor Bering die wichtige, wenn auch unausgereifte Theorie überprüfte, nach der Asien und Nordamerika zwei getrennte Kontinente sein sollten.
    Der erste Europäer, der an der Northwest Coast einen Fuß an Land setzte und seine Begegnung mit den Einheimischen überlebte, war Captain James Cook, der am 20. März 1778 in Resolution Cove an der Nordwestküste von Vancouver Island, dem größten Teil des Küstenpuzzles, an Land ging. Die Südspitze liegt eingebettet in eine von der Olympic-Halbinsel des Staates Washington geformten Bucht, macht vor der Küste von British Columbia einen Knick und verläuft noch etwa fünfhundert Kilometer in nordwestlicher Richtung. Die von Cook mit dem Landgang an dieser Stelle verfolgte Absicht sollte sich als prophetisch erweisen: Er brauchte Holzstämme. Auf der Route von Neuseeland über Hawaii waren die Masten und Spieren seiner beiden Schiffe schwer beschädigt worden. Sein Gastgeber auf Vancouver Island war der mächtige Nuu-chah- nulth-Häuptling Maquinna. Er und seine Leute trugen Män tel aus Seeotterfell und lebten in Holzhäusern, die auch auf Europäer einen vertrauten Eindruck gemacht

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