Am Ende der Wildnis
haben dürften. Mit ihren geraden Planken und einem Rauchabzug in der Mitte einer symmetrisch abgeschrägten Dachlinie wären die Bighouses der Nuu-chah-nulth nur durch ihre enorme Größe und massiven Holzstämme aufgefallen. Neben den »so üppig wie Brombeeren« vorhandenen Seeottern und der liebenswürdigen Gastfreundschaft, die für den zukünftigen Handel große Hoffnungen weckte, eröffnete sich tiefer im Wald eine weitere vielversprechende Perspektive: Bäume, wie sie noch kein Engländer je gesehen hatte – für den Erbauer eines Weltreichs ein Traum. Doch Cook, bereits wieder auf dem Weg nach Hawaii, sollte nicht mehr erleben, wie die Früchte dieser Entdeckung geerntet wurden.
Als Cooks Bericht über seine dritte und letzte Reise im Jahr 1784 veröffentlicht wurde, machten sich einige entdeckungslustige Unternehmer, denen sicherlich schon früher entsprechende Gerüchte zu Ohren gekommen waren, schleunigst daran, Schiffe für die Reise in den Nordpazifik auszustatten. Bereits 1785 erreichte das erste die Küste. Man begann, Handel mit den Ureinwohnern zu treiben, und von nun an sollte dort nichts mehr so sein wie zuvor. Diese Gefolgsmänner Cooks wurden als »Nor’westmen« bezeichnet (sowohl die Männer selbst als auch ihre Schiffe) und waren auf Geschäfte abzielende Entdecker, deren Unternehmungen so ambitioniert, weitreichend und kulturell komplex waren wie keine andere routinemäßig ausgeführte Handelsmission zuvor. Ihre alleinige Motivation war das Fell eines kleinen Meeressäugers, der erst kurz zuvor als Enhydra lutris klassifiziert worden war, besser bekannt als Seeotter. Sein Pelz war das Goldene Vlies des Nordpazifiks. Die Chinesen zahlten dafür ein Vermögen. Die Manchu-Dynastie des 18. Jahrhunderts herrschte über das sogenannte Reich des Himmels und war die fortschrittlichste Zivilisation der Welt. Dank ihrer enormen Landmasse waren die dreihundert Millionen Angehörigen dieser fremdenfeindlichen Gesellschaft (damals mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung) weitgehend autark. Eine Ausnahme bildeten Otterfelle, die bei der Oberschicht begehrter waren als jedes andere Kleidungsmaterial. Für ein einziges Fell von hoher Qualität zahlten sie bis zu 120 spanische Silberdollar, was heute einem Wert von 2 400 Dollar entspräche. Diese Felle waren so kostbar, dass die persönlichen Sachen der Seeleute auf Handelsschiffen regelmäßig durch sucht wurden, um zu verhindern, dass sie Felle zur eigenen Bereicherung schmuggelten – ähnlich wie heutzutage die Arbeiter in den afrikanischen Diamantminen überprüft werden. Während der Handel mit Dorsch, Holz und Fellen an der Ostküste schon seit einem Jahrhundert oder länger Reichtümer geschaffen hatte, waren Otterfelle die erste Ware des Nordens, die ihre Händler in einen ähnlichen Rausch versetzte wie Gold, Öl oder Drogen.
Die Ausbeuter näherten sich jetzt auf dem Landweg ebenso wie per Schiff, und so wurde der Pelzhandel zum Wegbereiter für die Eroberung des Westens. Biber, Fuchs und Hermelin waren ebenfalls profitabel, Otterfelle jedoch bildeten eine Klasse für sich. Alexander Mackenzie, ein Fellhändler und Teilhaber der in britischem Besitz befindlichen North West Company, überquerte als erster Europäer den Kontinent auf dem Landweg und erreichte die Küste im Jahr 1793 direkt gegenüber der Südspitze des Archipels, der kurz zuvor Queen Charlotte’s Isles benannt worden war (seine Reise war so beschwerlich, dass sie niemand wiederholen konnte). Obwohl er mehr als ein Jahrzehnt früher zur Stelle war als Lewis und Clark, fand er bei seiner Ankunft bereits Dutzende Schiffe vor, viele davon amerikanische, welche die Küste auf der Suche nach Otter fellen abfuhren. Schon im Jahr 1792 konnte man von der Massachusetts Bay Colony geprägte Münzen an den Ohren von Ureinwohnern der North Coast baumeln sehen. John Jacob Astor, dessen riesiges Pelzhandelsimperium reichlich Stoff für amerikanische Legenden geboten hat, schickte seine erste Expedition fast zwanzig Jahre später (1810) auf den Weg. Zu diesem Zeitpunkt begann die Population des sich nur langsam vermehrenden Seeotters schon zu schwinden.
Der ausschließlich im Nordpazifik vorkommende Seeotter ist unter den Säugetieren einzigartig. Während der Kopf eines Menschen mit etwa einhunderttausend Haaren insgesamt bedeckt ist, kann ein Seeotter auf jedem Quadratzoll bis zu sechshunderttausend Haare produzieren. Sein überaus feines Fell lässt sich in jede beliebige Richtung
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