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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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»zu gebildet für die eigene Intelligenz« anspielend, sagte Bendickson: »Es gibt immer mal wieder einen Job, bei dem das gefährlich ist. Ich dachte zu viel darüber nach, was geschehen könnte. Ich versuchte, mir die physikalischen Bedingungen klarzumachen, statt mich auf den sechsten Sinn zu verlassen, den gute Fäller wohl haben.«
    Dieser nicht messbare und verstandesmäßig unerklärbare Sinn – von manchen »Busch-Sinn« genannt – ist wahrschein lich dafür verantwortlich, dass Waldarbeiter wie Randy, Bill Weber und Grant Hadwin überlebten. Nicht nur hat ein guter Fäller ein besseres Gefühl als die meisten anderen dafür, wie ein Baum sich in einer bestimmten Situation verhalten wird, sondern er hat wohl auch – wie ein talentierter Athlet – in den entscheidenden Augenblicken mehr »Zeit«, Informationen aufzunehmen und sie zu verarbeiten, um schließlich zu entscheiden, wie die korrekte Handlungsweise auszusehen hat, und zwar nicht durch Nachdenken, sondern durch Intuition (wenngleich manchmal auch das reine Glück ein Wörtchen mitredet). Was die Holzfällerei betrifft, ist der Test, wer über diese Gabe ver fügt und wer nicht, der alles entscheidende, denn er sichert das Überleben. Wie Donnie Zapp, ein Holzfäller von Vancouver Island, der seit fünfunddreißig Jahren dabei ist, sagt: »Auf jeden Fall ist das kein Job, in den man sich reinschummeln sollte.«
    Aber die Kettensägen lassen es viel einfacher aussehen, als es ist. Von allen technischen Fortschritten, die der Arbeit im Wald zugutekamen, war die Umstellung auf diese Sägen wohl der radikalste. Schon seit 1905, als ein Zwei-Mann-Prototyp in Eureka, Kalifornien, erfolgreich getestet wurde, arbeitet man an ihrer Weiterentwicklung. Nach dem Holzschlag-Wahnsinn im Ersten Weltkrieg wurde eine erstaunliche Anzahl verschiedenster Geräte geprüft, aber die meisten, darunter eines, das glühenden Draht durch Bäume brennt, erwiesen sich in den unwegsamen Küstenwäldern als unpraktisch. Die Kettensäge wurde in der Form, wie wir sie heute kennen – im Wesentlichen eine motorbetriebene Fahrradkette, die mit scharfen Zähnen bewaffnet ist –, erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem verbreiteten Werkzeug in den Wäldern, und zu Anfang der 1950er-Jahre waren auch die letzten Holzfäller, die noch mit der Axt arbeiteten, bekehrt. Diese ersten Motorsägen brachten aber noch keine große Verbesserung. Nicht nur war ihre Mechanik anfällig, die Maschinen aus Stahl und Magnesium hatten über zwei Meter lange Schwerter und konnten bis zu siebzig Kilo wiegen. Vor fünfzig Jahren dürfte das Fällen von Bäumen nicht viel anders gewesen sein, als den ganzen Tag mit einem Harley-Davidson-Motor einschließlich Kette und hinterem Kettenrad auf dem Buckel bergzusteigen. Schon gegen zehn Uhr morgens muss eine Zweieinhalb-Kilo-Axt ziemlich verlockend ausgesehen haben. Aber Power und Reiz der Kettensägen sind nicht zu leugnen, und es war klar, dass sie auf Dauer in den Wäldern zu finden sein würden. Seither haben sie sich weiterentwickelt und sind zu schnittigen, leichten und verheerend leistungsfähigen Hackbeilchen geworden. Heute wiegt sogar eine große Kettensäge wie die Stihl 066 weniger als achteinhalb Kilo, und mit einem Schwert von einem Meter Länge und einer Kettengeschwindigkeit von hundert Stundenkilometern besitzt sie dieselbe elektrisierende und Aufmerksamkeit heischende Anziehungskraft wie eine Kalaschnikow oder eine Gibson Les Paul. Wie ein Maschinengewehr oder eine elektrische Gitarre ist die Kettensäge ein tragbarer deus ex machin a : eine aufgeladene Erweiterung der männlichen Willenskraft, die unmöglich zu ignorieren ist. Diese Werkzeuge zu benutzen macht einen Heidenspaß. Manche Holzfäller in British Columbia, die sich nicht mit der vom Werk gelieferten Arbeitsleistung zufriedengeben, haben ihre Sägen so aufmotzen lassen, dass deren erweiterte Absaugöffnungen mit Funkenfängern ausgerüstet sein müssen, damit Waldbrände verhindert werden.
    Unter idealen Bedingungen funktionieren Kettensägen wie lärmende Buttermesser: Man kann einen großen Baum in Abschnitte teilen und braucht dazu nur das Gewicht der Säge und den Druck eines Fingers einzusetzen. Doch diese Werkzeuge können einem Menschen ebenso leicht die Gliedmaßen abtrennen wie einem Baum die Äste. Mit der richtigen Kombination widerstreitender Kräfte können sie sich verhalten wie ein »Ninja-Helikopter«, und ihre gewaltige Kraft verführt zu einem gefährlich

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