Am Ende der Wildnis
Baum an Berghängen und auf flachem, felsigem Boden Halt geben. In den frühen 1960ern hat ein Förster namens Wally Pearson ein kleines Stück flussaufwärts von der goldenen Fichte einen Fichtenstumpf gemessen, der einen Durchmesser von sieben Metern vorweisen konnte, vergleichbar mit dem einer Sequoia, eines Riesenmammutbaums. Und weiter südlich in Sandspit wurde ein Exemplar von acht Metern Dicke gefunden. Es gibt nur eine Möglichkeit, einen derart stattlichen Baum zu fällen: Er muss zerlegt werden. Dazu sägt man zunächst die Brettwurzeln ab und dringt dann tunnelartig nach innen vor, indem man sogenannte Fensterblöcke heraussägt.
Auf Vancouver Island brachte 1987 ein Holzfäller mit Namen Randy eine Red Cedar von mehr als sechseinhalb Metern Durchmesser zu Fall. Unter Verwendung einer Kettensäge des Typs Husqvarna 160 mit einer Schwertlänge von einem Meter brauchte er dazu sechseinhalb Stunden. Nachdem er in den Baum rundherum einen Keil geschnitten hatte, sägte er Fensterblöcke aus und durchtunnelte den Stamm auf diese Weise bis zur Baummitte. In der dabei entstandenen Kammer war der Lärm seiner Säge so laut und der Abgasnebel so dicht, dass er erst dann wusste, dass der Baum fiel, als der abhebende Baumstamm Licht in den Rauch um ihn herum brachte. Wenn ein Baum dieser Größe auf dem Boden aufschlägt, hört sich das nicht wie ein zu Boden stürzender Baum an, sondern eher so, als würde direkt vor einem ein Gebäude zusammenbrechen. Wer das zum ersten Mal erlebt, für den bekommt der Ausdruck »Ehr furcht vor Gott« eine neue Bedeutung. Als er anschließend den Stumpf in Augenschein nahm, erinnerte sich Randy, »lagen die [Baum-] Ringe so eng beieinander, dass nicht einmal ein Stück Papier dazwischen gepasst hätte. Das Ding musste – verdammt – Tausende von Jahren alt sein.«
Das Gefühl, das die meisten Holzfäller erleben, wenn sie ein derart gewaltiges Exemplar gefällt haben, hat starke Ähnlichkeit mit dem eines Jägers beim Erbeuten einer Tiertrophäe: Es ist schön und schrecklich zugleich – aber auch außerordentlich befriedigend. Heutzutage kommt so etwas jedoch kaum noch vor. Randys Cedar war vermutlich der Letzte der wirklich riesigen Bäume, der in British Columbia legal gefällt wurde. »Aber auch beim Umlegen der Kleinen spüre ich noch Nervenkitzel«, fügte er hinzu. »Ich kann davon einfach nie genug bekommen. Ich bin schon verletzt worden, und direkt neben mir sind schon Typen getötet worden. Aber das ist wohl auch der Grund dafür, dass sie uns so gut bezahlen.«
In British Columbia arbeitet ein Holzfäller aus Sicherheitsgründen in der Regel sechseinhalb Stunden am Tag, und bis vor Kurzem konnte er bei MacMillan Bloedel damit 800 Dollar verdienen. Aber seit Weyerhaeuser übernom men hat, werden die fest angestellten Holzfäller zunehmend durch Leiharbeitskräfte ersetzt, weshalb der durchschnittliche Tagesverdienst um etwa dreißig Prozent gefallen ist. Trotzdem bleibt das noch recht gutes Geld für einen Job, für den sich nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung inte ressiert. »Holzfäller sind Einzelgänger«, erklärte Bill Weber, einer der wenigen Supervisor beim Fällen, die nach der Übernahme durch Weyerhaeuser noch geblieben waren. »Du bist Herr über dein Schicksal, denn du bist nicht den Maschinen ausgeliefert. Und wenn es dich erwischt, kannst du niemandem die Schuld geben außer dir selbst.«
Es besteht kein Zweifel, dass Holzfäller, genau wie High Rigger oder Hubschrauberpiloten, auf ihre ganz spezielle Art mit der Umgebung im Einklang sind, und das erkennt man daran, wie sie den Kopf bewegen. Ein achtsamer Holzfäller behält den Baum über sich immer im Auge, und zwar aus demselben Grund und mit denselben reflexhaften, ruckartigen Bewegungen, die ein Vogel ausführt, der seine Jungen füttert: weil im Wald der Tod in der Regel von oben kommt. Von der Baumkrone lassen sich die meisten Hinweise ablesen, denn alles, was in Bodennähe mit dem Baum passiert, wird an den äußeren Enden übersteigert wiedergegeben, ähnlich wie das Ende einer Angelrute die kleinsten Bewegungen der sie auswerfenden Hand verstärkt. Die ersten Anzeichen dafür, dass ein Baum im Begriff ist zu fallen, zeigen sich somit in flatternden Bewegungen der Astspitzen. Bei diesen ersten Erschütterungen können sich tote Äste lösen, manchmal auch solche von der Größe eines kleinen Baumes. Diese tödlichen Blitze aus heiterem Himmel werden als »Witwenmacher« bezeichnet.
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