Am Ende der Wildnis
Pazifiks«, und zu ihnen gehört die Westküste von Vancouver Island, aber es wäre zutreffender, einfach die gesamte Küste von British Columbia aufzuführen. Weit mehr als tausend Seefahrzeuge sind hier im Laufe der vergangenen zweihundert Jahre untergegangen, und die Hecate Strait ist wohl das gefährlichste Gewässer an der Küste. Die Meeresstraße schafft üble Wetterbedingungen; regelmäßig verursacht die einzigartige Verbindung von Wind, Gezeiten und Untiefen eine zerstörerische Synergie, wie sie anderen orts in der Natur nur wenige Parallelen hat. Von Nordosten kommen Fallwinde auf, hervorgebracht von kalter Luft, die von den Bergen herunterrauscht und wie in einem Windkanal durch die vielen Fjorde der Region strömt, von denen der größte der Portland Inlet ist, der fünfzig Kilometer nördlich von Prince Rupert in die Meeresstraße mündet. Winterstürme indes werden im Allgemeinen von arktischen Tiefdrucksystemen gespeist, die über Alaska entstehen, und treten gern als Südwinde entlang der Küste auf. Es liegt an diesen Winden, dass die Wetterboje am Südende der Hecate Strait Wellen registrierte, die über dreißig Meter hoch waren. Unter anderem kann die Meeresstraße auch deswegen so gefährlich werden, weil zwei gegensätz liche Wettersysteme gleichzeitig aktiv werden können. Wenn also ein südwestlicher Sturm, der mit achtzig bis hundertsechzig Stundenkilometern wütet, frontal mit einem nord östlichen Fallwind zusammenstößt, gleichen die Auswirkun gen einem atmosphärischen Zusammenprall von Hammer und Amboss. Veteranen unter den Kajakfahrern an der Nordküste erzählen von Winden, die hundertachtzig Kilo Boot und Paddler ganz und gar aus dem Wasser heben und durch die Luft schleudern.
Aber das ist nur eine Größe in der Chaosformel der Hecate Strait. Die Gezeiten sind eine weitere, und in diesem Gebiet reichen sie bis sieben Meter, und das bedeutet: Zweimal täglich werden enorme Wassermassen in das Küstenlabyrinth aus kleinen Buchten, Fjorden und Kanälen hineingepumpt und wieder herausgesogen. Die Verlage rung derartiger Massen ist im offenen Ozean ein relativ geregelter Prozess, aber wenn er sich in einem begrenzten Bereich abspielt wie in der Hecate Strait, die nicht nur schmal, sondern auch seicht ist, kann man die Wirkung mit der eines riesigen Daumens vergleichen, der auf das Ende eines noch größeren Gartenschlauchs gepresst wird. Die wissenschaftliche Bezeichnung dafür ist Venturi-Effekt, und das Ergebnis die dramatische Zunahme von Druck und Strömung. Eine dritte Größe ist eine beängstigende Erscheinung, die Widerwelle genannt wird und auftritt, wenn Wind und Tidenstrom sich mit hoher Geschwindigkeit in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Überfallwasser, wie es auch genannt wird, besteht aus steilen, kompakten und unberechenbaren Wellen, die ohne Weiteres – selbst bei einer bescheidenen Höhe von vier oder fünf Metern – ein Fischerboot kentern und auf den Meeresgrund sinken lassen können. Solche Wellen können überall entstehen, aber ihre Wirkung wird verstärkt durch Sandbänke und Untiefen wie diejenige, die sich über dreißig Kilometer vom Ende des Rose Spit zwischen Masset und Prince Rupert erstreckt. Unter bestimmten Bedingungen werden die Widerwellen zu »blinden Rollern«, großen, fast vertikalen Wellen, die rollen, ohne zu brechen. Nicht nur sind diese Wellen so gut wie lautlos, bei schlechtem Licht sind sie auch unsichtbar – bis man von ihnen überrollt wird. Wenn man dann die Tiefseedünung mit einbezieht, die sich im Winter in einer Höhe von zehn bis zwanzig Metern vorwiegend ostwärts durch Dixon Entrance wälzt, und dazu die Tatsache, dass eine hinreichend große Welle den Meeres boden der Hecate Strait freilegen kann, wird deutlich, dass man hier lebensfeindlichsten Umweltbedingungen ausgesetzt sein kann, wie sie Wind, See und Land in gemeinsamer Anstrengung höllischer nicht heraufbeschwören können.
Die meisten Seeleute, die Stürme überleben, tun es deswegen, weil sie sich am vorherrschenden Wind und Wellengang orientieren und sich auf sie einlassen, wie horrende es auch sein mag, bis sie abgeritten sind. Aber an einem schlechten Tag in der Hecate Strait ist da nichts Vorhersehbares, auf das man sich einlassen könnte: Eine SiebzigKnoten-Bö oder Wassermassen von Wohnblockausmaßen können jederzeit und aus jeder Richtung ihren Überfall starten. Es ist weder zu erklären noch zu fassen: Rund he rum führen die Elemente Krieg
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