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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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gegeneinander. Wegen des manisch-depressiven Wetters und der Tatsache, dass dieser Teil der Küste so düster und ohne charakteristische Merkmale geblieben ist, wie er damals war, als Pérez hier vorbeisegelte, müssen Seefahrer in diesen Gewässern navigieren, wie sich Mäuse in von Katzen bewachten Küchen bewegen: Sie flitzen flink und verstohlen von einem Versteck zum anderen. Wenn die Umstände ungünstig sind, bleibt man einfach still sitzen und wartet ab – vielleicht sogar eine lange Zeit. Wie ein einheimischer Kajakfahrer es ausdrückte: »Das Schlimmste, was man sich antun kann, ist, in aller Eile irgendwohin kommen zu wollen.«
    Gordon Pincock ist Experte, was das Kajakfahren betrifft, und einer derjenigen, die den Sport in Haida Gwaii einführten. Im Laufe von zwanzig Jahren hat er den Archipel der Länge und der Breite nach durchpaddelt und dazu zahlreiche Touren an der ganz und gar ungeschützten und isolierten Westküste unternommen. Bei einer dieser Touren überlebte er einen ganzen Tag in zehn Meter hoher Sturm dünung und wäre fast durch ein Westküstenphänomen namens »Clapitos« umgekommen. Dazu kommt es, wenn eine große Welle von einer Klippenwand zurückschlägt, mit derjenigen zusammenprallt, die als nächste folgt, und das Meer in eine Müllpresse aus Wasser verwandelt. Für kleine Boote ist es die reine Hölle: Eine Zehnmeterwelle, die von einer Wand zurückgeworfen wird, bewegt sich als Fünfmeterwelle in Richtung Meer, aber wenn sie mit der nächsten Zehnmeterwelle kollidiert, vereinigen sich die beiden zu einem Dreizehnmeterberg aus chaotischer Wasser kraft – wieder und wieder. Es ist daher bezeichnend, dass Pincock nie den Versuch unternommen hat, die Hecate Strait zu überqueren. »Mich alleine da rauswagen?«, sagte er. »Im Februar? Auf keinen Fall! Ich würde dafür niemals mein Leben aufs Spiel setzen, nicht mal im Sommer.«
    Sein Hab und Gut hatte er verkauft, seine Sicherheit war in Gefahr, und Hadwin besaß nur noch, was in einen Koffer passte, und dazu seine Visa-Karte. Zu den letzten Gegen ständen, die von dieser Kreditkarte abgebucht wurden, zählen ein Seekajak, Notfackeln, zwei Paddel und eine Lenz pumpe – die Standardausrüstung für eine Paddeltour an der Nordwestküste. Hadwins angegebenes Ziel war Masset, und er machte sich früh genug auf den Weg, um seinen Gerichtstermin einhalten zu können. Er hatte verbreitet, dass er diesen Weg wählte, weil er befürchtete, von Einheimischen attackiert zu werden, wenn er die Fähre oder ein Flugzeug nahm. Und er hatte tatsächlich triftige Gründe für seine Besorgnis. »Die Leute wollten dafür sorgen, dass er nicht auf die Fähre kam«, erklärte Constable John Rosario, der den Fall auf der Masset-Seite bearbeitete. »In Masset herrschte das Gefühl, es würde ein Lynchmord passieren, wenn er wiederkam.«
    Aber was das betraf, schien Hadwin durchdacht und entschlossen zu handeln. Kurz vor seiner Abreise rief er bei den Haida-Ältesten an und erläuterte seine Absichten: Wenn sie wollten, sagte er, könnten sie ihn draußen auf dem Wasser treffen, wo »keine Uniformierten« sein würden. Nachdem er Cora Gray verständigt hatte, Margaret, seine Noch-Ehefrau, und die Daily News , ließ Hadwin am 11. Februar nachmittags den Kajak zu Wasser. Sowohl Gray als auch seine Ehefrau benachrichtigten die Mounties, die ein aufblasbares Powerboot auf den Weg schickten und Hadwin abfingen, als er Prince Rupert Harbour verlassen wollte. Aber Constable Bruce Jeffrey, einer der Beamten, die an der Aktion teilnahmen, vermochte ihn nicht davon abzubringen, sich im Kajak auf den Weg zu machen. »Er verhielt sich nicht irrational«, erinnerte sich Jeffrey. »Er wirkte auch nicht selbstmordgefährdet, aber ich hatte doch den Eindruck, dass er leicht neben der Spur war. Leider darf man ja niemanden festnehmen, weil er unter überstei gertem Selbstvertrauen leidet oder eine Dummheit be gehen will. Wenn er gesagt hätte: ›Okay, ich nehm nicht den Kajak‹, hätten wir ihn auch rübergeflogen, aber er war entschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen.«
    In der Abenddämmerung – seine Ausrüstung in Fächern vorn im Boot und achtern verstaut und eine Axt sowie ein Ersatzpaddel auf dem Vorderdeck festgeschnallt – paddelte Hadwin aus Prince Rupert Harbour hinaus und direkt in einen Sturm. Der Wetterbericht für die Nacht erwähnt über drei Meter hohe Brecher, Windböen mit Geschwindigkeiten von mehr als fünfzig Kilometern die Stunde und Regen.

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