Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Arten angeht. Zum anderen ist sie auch die isolierteste Insel. Und diese Isolation bringt einige für ihn verwirrende Fakten mit sich, die er lange nicht erklären kann.
Besonders auffällig ist, dass Celebes gerade im Vergleich zu dem in dieser Hinsicht reichen Borneo überhaupt nur wenige große Säugetiere hat, darunter das Anoa, ein endemisches Wildrind, und das Babirussa, ein kleiner Hirscheber mit eigenartig gebogenen Hauern. Sosehr ihn diese Tiere an asiatische oder gar afrikanische Verwandte erinnern, so sehr sind sie allein auf diese Insel beschränkt (das Babirussa lebt zudem auf den nahe gelegenen Sula-Inseln und auf Buru in den Molukken). Andererseits gibt es daneben auch Beuteltiere wie zwei Arten des Kuskus, von dem eine, der Zwergkuskus, ausschließlich auf Celebes zu finden ist. Ähnlich wie Lombok fehlt der Insel, so notiert Wallace, ein starkes asiatisches Element; gleichwohl weist sie sich auch nicht durch einen starken australischen Charakter aus. Es fehlen Kängurus und bis auf eine Art nektarsammelnde Honigfresser; auch gibt es keine Paradies- oder Laubenvögel, wie sie aus Australien bekannt sind. Celebes ist weder das Land der Beutler noch der Säuger, es gibt keine Kängurus, kaum einmal Affen, geschweige denn Elefanten und Nashörner oder gar Tiger; überhaupt fehlen Katzen oder andere räuberische Säuger, von Schleichkatzen abgesehen, und auch die Insektenfresser. Also fehlen zwar weitgehend charakteristische Gruppen aus dem westlichen Archipel, überlegt Wallace, doch werden sie auch nicht durch östliche ersetzt. Später wird er zeigen, dass nur bis zu zwanzig Prozent der Vögel und Säuger von Celebes von den nächstbenachbarten Inseln Borneo und Java stammen. Kein Wunder, dass vom asiatischen Artenreichtum hier auf der Insel nur mehr ein magerer Rest übrig ist und verglichen mit den Faunen weiter westlich und östlich die Tierwelt verarmt und nur noch auszugsweise vorhanden ist. Zugleich unterscheidet sich die Tierwelt auf Celebes dabei sowohl von der auf Bali wie von der auf Lombok. Gleichwohl kommt Wallace zu dem Schluss, dass sich seine dort entdeckte Demarkationslinie hier weiter nördlich zwischen Borneo und Celebes fortsetzt.
Wallace’ Beobachtungen der Tierwelt auf Celebes deuten auf eine eigenartige Mischung aus Arten hin, zugleich aber auf eigenständige Gruppen, deren Arten mit denen benachbarter Inseln keine oder nur wenig Übereinstimmung zeigen. Die Insel könnte älter sein als andere, überlegt Wallace; sie sei insofern anormal, als sie sogar mit Afrika einige Tierformen teile. Später wird er spekulieren, dass Celebes einst als ein östliches Fragment einem früheren großen Kontinent im Indischen Ozean angehört haben könnte. Wie auch immer: Er kann diese kuriose Insel nicht genau einer Seite des heutigen Archipels zuordnen und soll dazu später seine Meinung noch mehrfach ändern. »Es wird möglicherweise ewig bloße Ansichtssache bleiben«, meint Wallace.
Ob Celebes nun eher östlich oder westlich der Wallace-Linie platziert werden sollte, ist tatsächlich eine Frage, die sich bis heute nicht leicht klären lässt. Viele Gründe sprechen dafür, dass die Meeresstraßen zwischen Bali und Lombok und zwischen Borneo und Celebes durchaus nicht jene unüberwindbaren Ausbreitungsschranken sind, für die Wallace sie noch hielt. Seine berühmte Linie mitten im Archipel markiert mithin nicht so sehr eine scharfe, wie mit dem Messer gezogene biogeographische Grenze zwischen Asien und Australien. Vielmehr ist es eine Faunen-Übergangsregion, die sich zwischen Orientalis und Australis einschiebt. Sie umfasst mehr als nur Celebes, schließt vor allem die Molukken weiter östlich mit ein; und sie hat einen ganz eigenen Charakter, etwa durch die 36 Säugetierarten und 19 Vogelarten, die nirgends sonst auf der Welt vorkommen.
Diese Zwischenregion wird später zu seinen Ehren Wallacea genannt. Ein Zoologe namens Dickerson bezeichnet sie 1924 erstmals so. Was indes selbst Eingeweihte kaum wissen: Erwähnt hat der sie erstmals in einer holländischen Publikation im Zusammenhang mit einem Tiefwasserbecken zwischen den beiden Schelfbereichen des asiatischen und australischen Festlands. Die Wallacea meint ursprünglich also ein marines Phänomen; wenige Jahre später bürgert sich die Bezeichnung vor allem für die an Land zu beobachtenden zoogeographischen Verhältnisse ein. Bis heute sind die Faunengrenze und das mit ihr verknüpfte biogeographische Übergangsgebiet der Wallacea
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