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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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welchem enormen Ausmaß diese Kräfte sowohl für das Heben und Senken wie auch das horizontale Wandern riesiger Landmassen und winziger Kontinentalfragmente sorgen, die die gesamte Region zwischen Asien und Australien in ständiger Bewegung halten, das alles kann er nicht einmal ahnen.
    Mit seinem Besuch auf Bali und Lombok sowie anschließend auf Celebes beendet er seine erste Erkundung im westlichen Teil des Archipels. Vor ihm liegen weiter östlich die Gewürzinseln und vor allem Neuguinea, das Land der Paradiesvögel. Für die kommenden zwei Jahre wird Wallace in diesem Teil des Archipels hin und her kreuzen. So hofft er, dem wechselnden Monsun zu entgehen, der ihn zu längeren und lästigen Sammelpausen zwingen würde, bliebe er an einem Ort. Im Dezember 1856, als die Regenzeit auf Celebes einsetzt, ist er auf dem Weg nach Aru. So abgelegen die auf dem australischen Schelf gelagerten Inseln sind, von so zentraler Bedeutung werden sie für Wallace.
    Ein Evolutionist auf Aru: Aru ist der letzte Mosaikstein zum großen geographischen Puzzle, das im indo-australischen Archipel für Wallace ausgelegt ist. Vom Gedanken an eine Evolution der Organismen ist Wallace bereits überzeugt, als er an den Amazonas aufbricht und mehr noch, seit er tagtäglich die Tierwelt Südostasiens sieht. In Sarawak formuliert er mit seinem Naturgesetz des Wandels den engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aller Arten. Auf Lombok und Celebes erkennt er, wie drastisch sich die Fauna von der auf Bali oder Borneo unterscheidet; wie eigenartig verarmt und doch auch wieder ganz eigen die Tierwelt östlich jener magischen Linie ist.
    Jetzt auf Aru begegnet er Kakadus und Kängurus, hier leben Kuskus und Kasuar – allesamt Arten, deren Verwandte ansonsten ähnlich, wenn nicht identisch mit denen Australiens und Neuguineas sind; bis hin zu ganz ähnlichen Gattungen und Familien. Dagegen kommt keine einzige der Familien von Vögeln und Säugern aus dem westlichen Teil des Archipels vor. Die Aru-Inseln sind gleichsam die kleine Schwester der großen Insel Neuguinea. Und dann geht ihm mit dem Vogelschwingenfalter Ornithoptera eine neue, nur für Aru typische Art ins Netz. Wir erinnern uns: Es ist jene, die mit ihren drei markanten Flügelflecken zwischen dem priamus von den Molukken mit vier Flecken und dem poseidon von Neuguinea mit zwei Flügelflecken vermittelt.
    So zart der Falter, so solide hier die Faktenlage. Wallace begreift – buchstäblich, als er den Schmetterling in den Händen hält – eines der Grundgesetze der Natur: das ewige Spiel von Variation und Wandel. Überall im Archipel, auf eng benachbarten Inseln und unter wechselnden Umweltbedingungen, leben eng verwandte Arten, die in immer wieder abgewandelter Form vorkommen. Andererseits gibt es umso größere Unterschiede, je weiter entfernt voneinander die Arten leben. Beides erweist sich als ein stets wiederkehrendes Verteilungsmuster; ein Puzzle, das ihm hilft, seine Idee zur Entstehung von Arten weiter auszuformulieren. Jede neu entstehende Art hat sich stets aus einer ihr nahestehenden früheren Art in derselben Region entwickelt, überlegt Wallace; nehme man weiter an, das Gesetz vom allmählichen Werden und Vergehen der Arten träfe zu, dann wäre die faunistische Übereinstimmung von Aru und Australien samt Neuguinea doch geradezu eine logische Konsequenz. Natürlich, sagt sich Wallace, so muss es sein! Das jeweilige Vorkommen erklärt sich, weil einige Arten ausgestorben sind, andere aber modifiziert wurden.
    Um Darwins fünfwöchigen Aufenthalt auf dem Galapagos-Archipel im September und Oktober 1835 ranken Legenden; ihm erschloss sich die Bedeutung dieser Inseln und ihrer Tier- und Pflanzenwelt indes erst in der Rückschau. Dagegen macht Wallace auf Aru klarsichtig tiergeographische Beobachtungen, die er unmittelbar im Sinne des Entwicklungsgedankens zu deuten weiß. Dazu verknüpft er die heutige Verbreitung der Tiere und die Geschichte der Faunen mit der physikalischen Geschichte ihrer jeweiligen Lebensräume. Wallace hat keinen Zweifel, dass Aru einstmals Teil eines gewaltigen Kontinents war, der Neuguinea und Australien und einige der vorgelagerten Inseln umfasst; so viel lässt sich aus den Karten von Windsor Earl sicher sagen. Daher die großen Übereinstimmungen der meisten Arten, die seit Urzeiten dort vorkommen. Doch dann gibt es auch jüngere Variationen und Modifikationen, die erst in jüngster Zeit hinzukamen, als Aru durch das Absenken der Landmasse und

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