Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
herumgewachsen ist. Es wurde allerdings nicht von den Portugiesen, sondern 1607 von den Holländern gebaut. Diese halfen dem Sultan erst gegen die hinreichend unbeliebten spanischen Besatzer, um dann selbst ihr Monopol für Gewürznelken zu gründen. Das Fort hat indes portugiesische Grundmauern, die offenbar dauerhafter waren als die Herrschaft der Erbauer selbst; zumindest haben sie den zahlreichen Erdbeben auf Ternate recht gut widerstanden. Heute ist das Fort durch eine indonesische Armeeeinheit besetzt; die aber erlaubt es zu besichtigen. In der Nähe finden sich Dutzende Häuser mit der einfachen Architektur, die Wallace beschreibt. Eines dieser Häuser, in der Jalan Babullah No. 4 und im Besitz einer chinesischen Familie, wird von jedermann in Ternate als »Wallace’s House« bezeichnet. Grundriss und Garten stimmen halbwegs überein. Lange blieb es reichlich vernachlässigt, mit einem eingestürzten Dach aus Sagopalmplättern; mittlerweile ist es mit Wellblech neu gedeckt, die Mauern sind gestrichen. Doch ist es deutlich größer und mit einer säulenbestandenen Veranda ausgestattet, anders also als das einfache Haus, das Wallace beschreibt. Es hat vielleicht nur überdauert, weil ein Teil der ausufernden Sultansfamilie hier lebte, während Wallace’ Haus der wachsenden Stadt anheimgefallen ist. Wir werden es nicht mehr genau wissen; und doch bleibt Ternate ein historischer, ein magischer Ort. Denn er gibt – selbst wenn nicht gänzlich korrekt – einem der wichtigsten Aufsätze der Evolutionsbiologie einen Namen und bietet den Schauplatz für die vorletzte Etappe im Wettlauf um die Entdeckung der Evolution.
Es war Gilolo und nicht Ternate: Der Moment und der Ort, in dem Wallace endlich die erlösende Idee kommt, werden Geschichte. Jeder hat in seinem Leben solche unvergesslichen Momente auf die eine oder andere Weise erlebt; jeder weiß, dass diese sich auf ewig in unserer Erinnerung einbrennen, obgleich die Begleitumstände mit der Zeit verschwimmen und – auch durch unser eigenes Zutun bei der Erzählung – mehr oder weniger abgewandelt werden. Die Zeit verändert auch die Zeitzeugen und ihr Zeugnis. Denn manchmal geben wir einer bestimmten Version der Wahrheit den Vorzug. Auch Alfred Russel Wallace hat über seine historische Erkenntnis während der Fieberattacken mehrfach berichtet; insgesamt siebenmal in schriftlichen Dokumenten, aber sämtlich mit dem Abstand von Jahrzehnten. Er selbst hat so den Moment seiner Entdeckung zu einer der meisterzählten Anekdoten der Evolutionsbiologie gemacht – in seiner Version der Geschichte, die ein Jahrhundert hindurch weitergegeben wurde.
Das letztlich Kuriose daran ist – zumal es sich um eines der zentralsten Ereignisse der Biologie- und Wissenschaftsgeschichte handelt –, dass es einige auffällige Lücken und Widersprüche in Wallace’ Darstellungen gibt. Und obgleich diese bereits zu seinen Lebzeiten ersichtlich waren, hat er sie nie aufgeklärt. Zum einen ist uns heute angesichts der hier nachverfolgten Vorgeschichte klar geworden, dass Wallace keineswegs – wie meist dargestellt – plötzlich, überraschend und eher zufällig irgendwo im Nirgends die Lösung der großen Artenfrage erkennt. Ebenso wenig wie bei Darwin auf Galapagos gibt es bei Wallace tatsächlich jenen einzigartigen Heureka-Moment der Wissenschaftslegende; viel eher ist sein Einfall die naheliegende und logische Konsequenz aus mühsam zusammengetragenen Befunden und Beobachtungen. Und wie bei Darwin ist es auch bei Wallace die Kombination zweier grundlegender, aber bereits für sich bekannter Ideen; der einer räumlichen und zeitlichen Abfolge und des Überlebens des am besten Angepassten bei der Auseinandersetzung mit der Natur.
Zum anderen, und vordergründiger, hat Wallace diese Entdeckung sehr wahrscheinlich gar nicht auf Ternate selbst gemacht. Obgleich sein Manuskript, entsprechend dem Zusatz, als Ternate-Aufsatz in die Annalen der Wissenschaft eingegangen ist, sind die meisten (wenngleich nicht alle!) Historiker der Ansicht, dass es im Februar 1858 auf Gilolo entstand. In Ternate hat Wallace seine logistische Basis, seine postalische Adresse, vermuten die einen. Er könnte es hinzugesetzt haben, weil er den Essay erst nach seiner Rückkehr von der Nachbarinsel fertiggestellt und von hier abgeschickt hat, meinen die anderen, um einige der Widersprüche zu erklären.
Eines steht fest: Das ansonsten komfortable Ternate ist kein Jagdgrund für den Naturalienjäger. Wallace
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