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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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miteinander verwandten Formen und ihre geographische Verbreitung.
    Spätestens seit Lyell und Blyth ihn auf Wallace’ Sarawak-Aufsatz hinweisen, ändert Darwin sein Vorgehen. Glaubte er bis dahin, weiterhin alle Zeit der Welt zu haben für die Veröffentlichung seiner Theorie, merkt er spätestens im Sommer 1856, wie gefährlich nahe Wallace ihm kommen könnte. Als Darwin dann durch dessen Briefe und Arbeiten im folgenden Jahr erkennt, wie gefährlich Wallace für ihn wirklich ist, arbeitet er unter Hochdruck an seinem Arten-Buch und verbessert dabei zugleich Teile seiner theoretischen Überlegungen. Keine Frage: Er ist durch Wallace gefordert, lange vor der Ankunft von dessen Ternate-Aufsatz. In seiner Korrespondenz mit Wallace indes hält er diesen auf Abstand, sichert aber gleichzeitig in andere Richtung seine Priorität in der Artenfrage ab (der Auszug seiner Theorie im Brief an Asa Gray dient allein diesem Zweck). Es ist ein überaus cleveres Vorgehen und eine wohlüberlegte Strategie; doch kann auch Darwin nicht voraussehen, was dann passiert. Er ist hinreichend geschockt, aber er fällt nicht aus allen Wolken.
    »Why do some die and some live?« – Wallace’ »Malthusischer Moment«: Als Wallace Ende Januar 1858 mit dem Boot von Ternate nach Gilolo übersetzt, verrichten die auf der großen Nachbarinsel im Osten beheimateten papuanischen Ruderer wie immer die schwere körperliche Arbeit. Auch diesmal entgehen Verschiedenartigkeit und Vielfalt der Menschenformen im Archipel nicht Wallace’ Aufmerksamkeit. Kaum auf der Insel angekommen, erkennt er, dass ihre Bewohner sich ebenso markant von den auf Ternate ansässigen Malaien unterscheiden wie jene auf Kai und Aru weit im Südosten des Archipels. »Eine sorgsame Prüfung überzeugte mich, dass dieses Volk sich radikal von allen malayischen Rassen unterscheidet.« Die Erkenntnis verhilft Wallace später zur Linienführung zwischen diesen beiden Volksgruppen, wie wir bereits gesehen haben. Was indes bisher bei der Ternate-Episode oft verkannt wurde, weshalb es aber wichtig ist, diese tatsächlich auf Gilolo zu verorten: Es ist Wallace’ aufmerksame Beobachtung der papuanischen Bewohner der Insel, die ihn ausgerechnet hier das letzte, das entscheidende Puzzleteilchen finden lässt.
    Es ist eine malthusische Welt, die Wallace hier bewusst wird – jene Welt des Thomas Robert Malthus, dessen Aufsatz über den Überlebenskampf der Menschen er damals in Leicester gelesen hat. Malthus hatte ein halbes Jahrhundert zuvor die brutalen Konsequenzen dessen aufgeschrieben, was jeder sehen konnte: Dass Jahr für Jahr viel mehr Menschen zur Welt kommen als letztlich überleben; dass es auch beim Menschen um die begrenzten natürlichen Ressourcen stets Konkurrenz und Kampf gibt, dass die Geschichte der Erde eine Geschichte der Katastrophen ist, der Erdbeben, Hungersnöte, Kriege und so weiter, bei denen Teile der Menschheit reduziert, diese beinahe ausgelöscht werden. »In dieser Zeit war ich von einer starken Fieberattacke heimgesucht, infolge derer ich jeden Tag einige Stunden liegen musste. Eines Tages brachte mir irgendetwas Malthus’ ›Essay über Bevölkerung‹ in Erinnerung, den ich zwölf Jahre vorher gelesen hatte.«
    Was genau war es, das ihm Malthus’ Ansichten und Einsichten in Erinnerung ruft? Darüber haben Wissenschaftshistoriker viel nachgedacht und durchaus unterschiedliche Möglichkeiten vorgeschlagen. Es sei kein Zufall, dass sich Wallace ausgerechnet hier – angesichts der augenfälligen ethnischen und anderer, insbesondere sozialer Unterschiede der Menschen auf Ternate und Gilolo – an Malthus erinnert, meinen einige. Schon immer habe sich Wallace für den Menschen interessiert, führen sie an. Ethnische Unterschiede kennt der im Grenzland zu Wales aufgewachsene »kleine Sachse« seit frühester Kindheit; er erinnert sich daran, als er jetzt zwischen den Malaien auf Ternate und den Papuas auf Gilolo eine Linie zieht. Die deutlich andere Bevölkerung auf Gilolo, die unter höchst einfachen und ärmlichen Verhältnissen lebt, bringt verschüttete Erfahrungen und Eindrücke aus Wallace’ Kindheit und Jugend hervor, glauben auch andere. »Ich dachte über die wirksame Begrenzung der Bevölkerungszunahme nach«, erinnert sich Wallace der armen Verhältnisse, aus denen er stammt; an seine eigene Lebensgeschichte und die Lebensverhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im ländlichen England, seine Begegnungen als Landvermesser mit den

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