Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
getaktet die verschiedenen Postrouten und Schiffsverbindungen zwischen dem holländischen Archipel und den britischen Kolonialposten damals waren. Der von der holländischen Kolonialregierung organisierte Postdienst sei in dieser Zeit sicher und vorhersagbar gewesen, wie die Studie von Roy Davies belegt. Unverzichtbar war für ihn die Hilfe von Femme Gaastra, einem Geschichtsprofessor an der Universität in Leiden mit einer ausgeprägten Leidenschaft für die marine Historie seines einstigen Koloniallandes, der – so Davies – über eine phänomenale Kenntnis vom Muster der Schiffsrouten zu Wallace’ Zeiten verfügt; genau das, was wir jetzt brauchen. Wallace übrigens dürfte seinerzeit ein ähnlich guter Kenner dieser Postschiffsverbindungen gewesen sein, der er sich für seine eigenen Expeditionen auf verschiedene Inseln im Archipel bediente.
Zwei Unternehmen teilen sich damals die Postbeförderung. Die Nederlandsch-Indische Stoomboot Maatschappij sammelt Briefe und Pakete auf den Inseln im Archipel und befördert diese jeweils am 12. eines Monats von Java aus an Bord der »Koningin der Nederlanden« nach Singapur. Das Unternehmen Cores de Vries bringt die Post jeweils am 26. eines jeden Monats von Batavia (dem heutigen Jakarta) nach Singapur; doch befördert die »Banda« nur Post von Java selbst, nicht von anderen Inseln. In Singapur wird die Post beider Schiffe von britischen P & O-Dampfern aus Hongkong kommend übernommen, die sie von dort binnen sechs Wochen nach England befördern.
Auf dieser Weise ist auch jene Post unterwegs, die Wallace Anfang März 1858 von Ternate abschickt. Zwar sind, wie gesagt, sein Brief und Manuskript an Darwin nicht mehr auffindbar, und damit lässt sich etwa über den Poststempel auch nicht erschließen, wann beides eingetroffen ist. Doch kommt hier der berühmte glückliche Zufall ins Spiel. Und der sorgt dafür, dass Wallace am 2. März – da ist er gerade zurück aus Gilolo – zudem einen Brief an seinen Freund und Weggefährten am Amazonas, Henry Walter Bates, schreibt. Diesen langen Brief faltet er und schickt ihn in einem Umschlag gemeinsam mit einem Schreiben an Bates’ Bruder Frederick, der in Leicester lebt – und der von dort den Brief an Henry weiterleiten soll, der sich noch immer am Amazonas aufhält. Zwar erwähnt Wallace gegenüber Bates mit keinem Wort, dass er den Schlüssel zum Rätsel um die Entstehung der Arten gefunden haben könnte und dazu einen Artikel geschrieben hat. Doch wichtiger noch als der Inhalt dieses Briefes wird der Poststempel auf seinem Umschlag werden. Denn Brief samt Umschlag an Frederick und Henry Bates, der Ternate nachweislich am 9. März 1858 an Bord des Dampfers »Ambon« verlässt, sind erhalten geblieben. Wir wissen dank eines deutlich lesbaren Poststempels darauf, dass diese Sendung am 3. Juni in London und am gleichen Tag auch in Leicester abgestempelt und damit dort eingegangen ist. Wenn der Bates-Brief bereits in den ersten Junitagen 1858 in England ist, warum nicht auch Wallace’ Manuskript an Darwin?
Tatsächlich gibt es – wenigstens aufgrund der Postlaufzeiten – keinen Grund anzunehmen, Wallace’ Aufsatz sei erst zwei Wochen später, also erst am besagten 18. Juni 1858, wie Darwin impliziert, in Down House angekommen. Doch solche Schlussfolgerungen rufen unmittelbar die Darwin-Verteidiger auf den Plan; nicht immer mit Erfolg. Unlängst haben John van Wyhe und Kees Rookmaaker nochmals die Fahrpläne holländischer und britischer Postdampfer untersucht und versucht darzulegen, warum das Wallace-Manuskript eben doch erst Mitte Juni Darwin erreicht hat. Sie gehen – und das ist das zentrale Element ihrer Theorie – davon aus, dass Wallace’ verschollener Brief samt Manuskript die Antwort auf einen früheren Brief von Darwin sei; dies ist unser Brief Nr. 2 vom 22. Dezember 1857. Aus dem Vergleich der Postlaufzeiten sämtlicher Briefe von Wallace und Darwin lässt sich nun schließen, dass jener Brief Darwins erst am 9. März 1858 auf Ternate eintraf, mit besagtem Postdampfer »Ambon«. Der legt nach weniger als einer Stunde im Hafen bereits wieder ab. Seine Korrespondenz zeige, dass Wallace keinesfalls die Gewohnheit hat, unmittelbar am selben Tag – also in diesem Fall direkt am Hafen – auf gerade ankommende Post zu antworten. Mithin konnte sein vermeintliches Antwortschreiben an Darwin, gemeinsam mit jenem brisanten Evolutionsaufsatz, erst mit dem nächsten Schiff abgehen. Das aber fährt erst einen Monat
Weitere Kostenlose Bücher